(Publiziert in: Kröger, Fabian, Fahrerlos und unfallfrei, Eine frühe automobile Technikutopie und ihre populärkulturelle Bildgeschichte, in: Fraunholz, Uwe, Woschech, Anke (Hg.), Technology Fiction – Technische Visionen und Utopien in der Hochmoderne, Transcript Verlag, Bielefeld 2012, S. 93 – 114).
Die Faszinationsgeschichte des Automobils ist mit der Selbststeuerung verbunden. In der Kontrolle über Lenkrad, Bremse und Gaspedal erleben sich Autofahrer als Quelle einer Kraft, die größer und stärker ist, als sie selbst. Dieses Machtgefühl ist jedoch mit dem Risiko verbunden, Unfälle zu erleiden. Neben das Phantasma des selbst lenkenden Menschen tritt deshalb der Traum des sich selbst steuernden Autos, das uns ohne Unfall zum gewünschten Ziel bringt. Auffällig ist, dass die Realisierung dieser Wunschphantasie seit über 70 Jahren immer nur 20 Jahre entfernt ist.[1] Das Steuer aus der Hand zu geben, bleibt auf hartnäckige Art und Weise eine populärkulturelle Fiktion. Fahrerlose Fahrzeuge bevölkern in erster Linie das Imaginäre der Technik, ihre Geschichte ist vor allem eine Bildgeschichte.
Der Traum vom automatischen Fahren ist mit einem Bildrepertoire von außerordentlicher Suggestivkraft verbunden und zieht daraus seine Dynamik. Futuristische Zeichnungen und Grafiken scheinen diese Techno-Utopie geradezu anzutreiben. Ihre Schubkraft beziehen diese Bilder aus dem Verlebendigungspotenzial, das ihnen eingeschrieben ist: Wir sehen in einem Bild etwas, das nicht mit ihm identisch ist – das Dargestellte. Das Bild hat die Fähigkeit, dieses Dargestellte so sichtbar zu machen, als hätten wir die Sache selbst vor Augen.[2] Aus dieser Fähigkeit zu räumlicher Imagination bezieht das Bild seine magischen Qualitäten.
Neben diesem Animismus, der für viele Bildarten gilt, überschreiten Bilder der Zukunft aber noch eine zweite Grenze: Wir sehen im Bild schon heute etwas, das in Zukunft einmal anwesend sein könnte. Eine Zeitqualität realisiert sich hier also räumlich. Mit diesen Merkmalen verbinden Bilder der Zukunft die Qualitäten räumlicher und zeitlicher Utopien. Thomas Morus begriff die Utopie – den Nicht-Ort – noch räumlich, wie es seit der Renaissance üblich war. Die literarische Imagination versetzte die Idealwelt auf eine weit entfernte Insel. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Utopie-Begriff verzeitlicht, das Wunschland wurde in die Zukunft verlegt.[3] Zukunftsbilder vermögen beides. Sie realisieren utopische Orte in der räumlichen Gegenwart des Bildes.
Bisher blieb unerforscht, mit welchen Bildern das automatische Fahren kulturell angetrieben wurde.[4] Eine kulturgeschichtliche Imagologie des Automobils wurde bislang noch nicht entwickelt.[5] Der folgende Beitrag will hier einen Anfang machen und nachzeichnen, wie sich die Darstellung des automatischen Fahrens in der populären Kultur der USA von den 1930er bis in die 1960er Jahre gewandelt hat. Welche durchgängigen Linien und welche Brüche lassen sich in der populärkulturellen Bildgeschichte dieses technoimaginären Versprechens ausmachen? Lassen sich verschiedene Bildfamilien bestimmen, die in Bildstufen aufgeteilt werden können? Wie ist die Beziehung zwischen den Bildern und der technologischen Entwicklung beschaffen? Neben zwei Filmen, in denen selbstfahrende Autos auftreten, werden vor allem Abbildungen in US-amerikanischenpopulärwissenschaftlichen Zeitschriften als Quellen genutzt. Um diese Bilder interpretativ einordnen zu können, muss auch die Frage der Steuerung berücksichtigt werden, um die es bei dieser Utopie primär geht. Von besonderem Interesse ist dabei, wie der Wechsel zwischen Fremd- und Selbststeuerung konzipiert wird.
DAS FAHRERLOSE AUTO STARTET ALS FILMISCHE IMAGINATION
Die Geschichte des automatischen Fahrens beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA. Dort setzte die Massenmotorisierung schon in den 1920er Jahren ein – drei Jahrzehnte früher als in Europa. Dies brachte einen starken Anstieg tödlicher Verkehrsunfälle mit sich. Allein in den ersten vier Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden mehr US-Amerikaner bei Autounfällen getötet, als zuvor in Frankreich gefallen waren.[6] Insgesamt führte der motorisierte Straßenverkehr in den 1920er Jahren zum Unfalltod von etwa 200.000 US-Bürgern, die weitaus größte Zahl davon waren Fußgänger.[7]
Diesem Bedrohungsszenario stand ein Lösungsversprechen gegenüber, das im Bereich der Luftfahrt entwickelt worden war: Lawrence B. Sperry (1892– 1923) stellte schon 1914 einen von ihm entwickelten Autopiloten für Flugzeuge vor. Dieses automatische Steuerungssystem basierte auf dem Gyrokompass, den sein Vater Elmer A. Sperry (1860–1930) erfunden hatte.[8] Unfallboom und Autopilot stellten die materiellen Bedingungen dar, die ein unfallfreies, sich selbst steuerndes Automobil überhaupt erst denkbar machten.
Bevor Verkehrsexperten und Stadtplaner in großem Stil von automatischen Highways träumten und Ingenieure das fahrerlose Auto technisch zu entwickeln begannen, eroberte es zunächst als imaginäres Gefährt die Leinwand.[9] Im US-amerikanischen Verkehrserziehungsfilm THE SAFEST PLACE (1935) hatte es seinen ersten Auftritt.[10] Der von General Motors (GM) in Auftrag gegebene und von Jam Handy (1886–1983)[11] produzierte Kurzfilm zeigt ein Auto ohne Fahrer, das mustergültig die Verkehrsordnung einhält. Dieses Fahrzeug bleibe immer in der Spur, vergesse beim Abbiegen nie zu blinken, beachte alle Stoppzeichen und überhole nie in gefährlichen Kurven, kommentiert ein männlicher Sprecher aus dem Off.
Dieser Film ist ein erstaunliches Dokument, zeigt er doch vor allem, dass die Bildgeschichte dieser Vision vor ihrer technischen Ausformulierung beginnt. Technische Entwicklung und Darstellungsentwicklung laufen nicht parallel. THE SAFEST PLACE inszeniert die Vision des selbstfahrenden Autos nicht als technisch realisierbare Möglichkeit, sondern als moralisches Denkmodell. Es ist allein der Fahrer, der in diesem Film für Unfälle verantwortlich gemacht wird. Er sei für die Sicherheit viel bedeutsamer als die Technik – gerade deshalb soll er sich wie ein Automat verhalten.
Der blinde Fleck des Films ist die Maschine: Sie wird nicht als Risikofaktor begriffen. Es bleibt ausgeblendet, dass Unfälle auch passieren, wenn der Fahrer keine Fehler macht. Dies ist nicht verwunderlich, denn damals weigerte sich die Autoindustrie noch, Sicherheitsforschung zu betreiben.[12] Visuell bringt der Film dieses Paradox der unfehlbaren Maschine eindrucksvoll auf den Punkt: Die Kamera filmt den Innenraum des Wagens von der Rückbank aus. Wie von Geisterhand dreht sich das Lenkrad, die Vordersitze sind leer.
Bemerkenswert ist diese Einstellung, da sich das selbst lenkende Auto aller Fahrzeuginsassen entledigt zu haben scheint. Ihre Körper sind aus dem Wagen und aus dem Bild genommen worden. Sie sitzen nun außerhalb des Wagens im Kino, vor der Leinwand, nur ihr Blick erlaubt es den Zuschauern, sich als visuell Reisende wieder in den Wagen hineinzuversetzen. Damit spitzt der Film den Widerspruch zwischen Sicherheit und Freiheit auf ironische Weise zu: Ist das Auto erst sicher, wenn es leer ist?
DIE LEITDRAHTVISION ALS UTOPISCHES LEITBILD
Etwa zur gleichen Zeit – Mitte der 1930er Jahre – begann die US-amerikanische Öl- und Automobilindustrie gemeinsam mit Stadtplanern, Industriedesignern, Architekten, Verkehrswissenschaftlern und Vertretern der Politik an futuristischen Entwürfen künftiger Highways zu arbeiten.[13] Ein zentrales Element dieser modernistischen Projekte war das automatische Fahren, das damit in eine neue Phase eintrat und sich vom imaginären Denkmodell zum utopischen Leitbild wandelte. Die Idee der automatisierten Straße wurde nun auf reale Landschaften projiziert. Eine sofortige Umsetzung dieser Vision war aber nicht geplant. Vielmehr sollte ihre Strahlkraft dazu beitragen, das Vertrauen in den Kapitalismus wiederherzustellen. Denn viele US-Bürger hatten im Zuge der großen Depression den Glauben an den technologischen Fortschritt verloren. Die Elite der Planer war deshalb auf propagandistische Verstärker angewiesen, die den technischen Heilsversprechen ihren Glanz zurückgeben sollten.
Diese Aufgabe übernahmen populärwissenschaftliche Magazine wie Popular Science, gegründet 1872 von Edward L. Youmans (1821–1887).[14] Sein Ziel war es, »das Brot der Wissenschaft für die Massen zu brechen«.[15] Auch die 1902 gegründete Zeitschrift Popular Mechanics sollte nach der Vorstellung ihres Herausgebers Henry Haven Windsor (1859–1924) einen Beitrag zur »Erziehung« des Alltagsbürgers leisten. Bilder spielten dabei eine zentrale Rolle: »Die meisten Magazine verwenden illustrierte Artikel. Wir nicht. Wir verwenden beschriebene Abbildungen«, so Windsor.[16] Für bildhistorische Analysen stellen diese Zeitschriften deshalb wertvolle Quellen dar.
Im Mai 1938 berichtete Popular Science erstmals über den automatischen Verkehr der Zukunft.[17] Der Autor stellte die sogenannte Leitdrahtvision vor, die bis in die 1970er Jahre kulturelles Leitbild bleiben sollte: Alle Fahrzeuge folgten einem in die Fahrbahn versenkten elektromagnetischen Kabel, dessen Impulse Geschwindigkeit und Steuerung regulierten. Jeder Spur war eine andere Geschwindigkeit zugeordnet, auf der Expressspur ging es mit 100 Meilen pro Stunde voran.[18] Begründet wurde dieser Entwurf damit, das »Schlachten« beenden zu müssen, das durch menschliche Fahrfehler und schlechte Straßen verursacht werde.[19]
Von besonderem Interesse ist hier die begleitende Zeichnung des Illustrators Benjamin Goodwin Seielstad (1866–1960), da sie eine utopische Bildsprache entwickelt, die über Jahrzehnte immer wieder in Zusammenhang mit dem automatischen Fahren auftauchen wird (Abb. 1). Aus der Vogelperspektive schaut man auf die Autobahn der Zukunft, die in einer schnurgeraden Fluchtlinie gen Horizont führt. Die weiß leuchtenden Fahrbahnen vereinigen sich am zu überschreitenden Horizont des Panoramas. In dieser Perspektive ist ein emphatischer Fortschrittspfeil hin zum besseren Morgen enthalten. Der strategisch eingesetzte Fluchtpunkt betont die Aussage dieses Bildes: Da er sich mit dem Betrachter bewegt und somit unerreichbar ins Nirgendwo flüchtet, hat er eine Affinität zur Utopie. Zweitens betont der überaus hoch liegende Augenpunkt die Bedeutung des Panoramas. Der Blick auf die Autobahn scheint aus der Perspektive eines Heißluftballons zu stammen. Die visuelle Distanz unterstreicht den Entwurfsstatus dieser utopischen Wunschlandschaft.[20]
Abbildung 1
Erstaunlicherweise war schon in dieser frühen Leitdrahtvision ein Wechsel zwischen automatischer und manueller Steuerung vorgesehen.[21] Wie Fremd- oder Selbststeuerung ausbalanciert werden sollten, bleibt aber undeutlich: Drückt der Fahrer das Bremspedal, werde das nachfolgende Fahrzeug per Infrarotstrahl automatisch abgebremst, so der Autor. Die automatische Steuerung des einen Autos scheint hier von der manuellen Steuerung des anderen abzuhängen. Auch eine kleine Zeichnung des Cockpits (hier nicht abgebildet) zeigt, dass der Autofahrer seine Hand am Lenkrad behält. Bis auf die dreirädrigen und tropfenförmigen Autos, die an das Dymaxion Car des Architekten und Visionärs R. Buckminster Fuller (1895–1983) sowie das Car No. 9 des Stromlinienpioniers Norman Bel Geddes (1893–1958) erinnern, bleibt das Bild an der zeitgenössischen Formensprache orientiert. Populärwissenschaftliche Zeitschriften mussten an das Bestehende anknüpfen. Ihr Bildmaterial ist deshalb weniger frei gestaltet als jenes der Science Fiction.
Popular Science erläuterte die im Artikel aufgezeigte Vision mit Berufung auf Miller McClintock (1894–1960), Direktor des Büros für Street Traffic Research der Harvard Universität, der als wichtigster Vordenker der US-Verkehrsplanung bezeichnet werden kann. In seinem Buch Street Traffic Control analysierte er bereits 1925 die Ursachen für Staus und Unfälle und entwickelte neue Verkehrsregeln und Straßenbaumaßnahmen.[22]
Im Frühjahr 1937 brachte der Mineralölkonzern Shell McClintock mit Norman Bel Geddes zusammen. Für eine Shell-Werbeanzeige sollten sie gemeinsam ein Modell der City of Tomorrow entwerfen.[23] Zwar hatte Bel Geddes schon 1932 in seinem Buch Horizons über Urbanismus und Autodesign geschrieben[24], aber erst der Shell-Auftrag brachte ihn dazu, die Vision eines automatischen Highways zu entwickeln. Es ist aufschlussreich, dass der Antrieb für das automatische Fahren demnach von einer großen Ölgesellschaft kam. Im Mai 1938 gelang es Bel Geddes, den GM-Konzern davon zu überzeugen, das Shell-Modell für die New Yorker Weltausstellung von 1939 weiterzuentwickeln.
DER SELBSTGESTEUERTE VERKEHR IM FUTURAMA
»Strange? Fantastic? Unbelievable? Remember, this is the world of 1960!«[25] Auf der World‘s Fair erhielt die Utopie des fahrerlosen Automobils erstmals eine große Bühne. Building the World of Tomorrow lautete das Motto der Messe, die eine technologisch verbesserte Zukunft versprach, während der Alltag von wirtschaftlicher Depression und Ahnungen eines drohenden Krieges geprägt war. Die populärste Show der World‘s Fair war das heute legendäre Futurama von GM mit seinem Modell des Verkehrs der Zukunft. Der Begriff Futurama ist vom griechischen horama (dt.: »Sicht«) abgeleitet. Um in die Zukunft sehen zu können, mussten die Messebesucher das von dem Architekten Albert Kahn (1869– 1942) entworfene stromlinienförmige Gebäude über gebogene Rampen betreten, in deren Ästhetik neben den künftigen Superhighways die schon genannte utopische Fortschrittsbahn wiederzuerkennen war.[26]
Im Inneren standen 552 Plüschsessel bereit, die auf ein Fließband montiert waren. In ihnen schwebten die Besucher 16 Minuten lang über eine 3.000 Quadratmeter große, gigantische Modelllandschaft, die Norman Bel Geddes entworfen hatte. Das sieben Millionen Dollar teure Diorama umfasste eine halbe Million Häuser, eine Million Bäume und 50.000 Spielzeugautos.[27] In die Sessel waren Lautsprecher integriert, mit denen den Besuchern erläutert wurde, was sie unter sich sehen konnten: 10.000 Modellautos, die über eine vierzehnspurige Autobahn rasten, verkörperten den automatischen Verkehr von Morgen, der von Radiowellen in der Spur gehalten wurde.[28]
Mit dieser Inszenierung setzte Bel Geddes, der bis 1927 beim Theater gearbeitet hatte, ähnlich wie der Popular Science-Herausgeber auf ein Primat des Visuellen: »Einer der besten Wege, um eine Lösung jedem verständlich zu machen, besteht darin, sie zu visualisieren, zu dramatisieren«.[29] Es galt, die Wünsche der Zuschauer zu prägen und den Anspruch der Industrie auf kulturelle Hegemonie über die Zukunft zu unterstreichen. Dazu brauchte es Bilder, keine technischen Entwürfe. Das Futurama sollte den Betrachter nicht aufklären, sondern ihn einen Bildraum betreten lassen. Wie die Zuschauer hier die Zukunft sahen, war ebenso wichtig wie das, was sie sahen. Sie imitierten den »gottgleichen Blick des Piloten«, den auch die modernistischen Planer auf die chaotischen Städte warfen, im Wunsch, diese zu kontrollieren.[30] Zugleich fiel die Vorstellung des Futuramas in die Zeit der Superhelden (der erste Superman-Comic erschien 1938), deren Aufstieg von der Erde als Rettungsallegorie aus der Depression gelesen werden kann. Der Blick von oben, der eine bessere Welt einrichten helfen sollte, kann also zugleich als utopisch und autoritär bezeichnet werden.
Wie die automatischen Highways technisch funktionieren sollten, bleibt im Gegensatz zur hochentwickelten Bildlandschaft diffus. Dieses Ungleichgewicht ist ein typisches Merkmal aller Techno-Utopien. GM gab nur die Auskunft, Experten würden die Autofahrer bei Spurwechseln von Kontrolltürmen aus dirigieren.[31] Offenbar sollte der Fahrer das Steuer in der Hand behalten, aber gleichzeitig einem menschlichen Anweiser gehorchen, der seine Befehle per Radiowelle übermittelte. Auch der Film TO NEW HORIZONS fasste das Verhältnis von Selbst- und Fremdsteuerung nicht schärfer.[32] Tatsächlich gibt es laut Wetmore keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bel Geddesschen Highways über den Modellstatus hinaus entwickelt wurden.[33] Ende der 1930er Jahre war der Highway of the Future technisch nicht weiter ausgearbeitet als das imaginäre automatische Auto im Film THE SAFEST PLACE.
ÄSTHETISCHES AUFBLÜHEN IN DER NACHKRIEGSZEIT
Der Zweite Weltkrieg unterbrach den Traum vom automatischen Fahren. Die Autohersteller konzentrierten sich in den 1940er Jahren auf militärisches Gerät. In der Nachkriegszeit blühte die Utopie des fahrerlosen Automobils jedoch wieder auf. »Why Don’t We Have… CRASH-PROOF HIGHWAYS«, fragte die populärwissenschaftliche Zeitschrift Mechanix Illustrated 1953.[34] Im Krieg waren neue Technologien entwickelt worden, die nun für zivile Zwecke genutzt werden sollten. Damit wurde die Leitdrahtvision technisch konkreter. Das automatische Fahren sollte mit Magnet-Detektoren realisiert werden, wie sie im Zweiten Weltkrieg zur Detektion von Landminen benutzt worden waren. Radartechnik – auch dies eine militärische Innovation – sollte den Abstand zum vorausfahrenden Wagen regulieren.
Mit dem aus der Vogelperspektive gezeichneten Autobahnpanorama ähnelt die begleitende Illustration (Abb. 2) in verblüffender Weise der bereits besprochenen Zeichnung von 1938. Der Augenpunkt ist nun allerdings abgesenkt, als würde der Blick des Betrachters von einem dicht neben der Straße stehenden Gebäude fallen. Das Bild suggeriert damit, dass die Realisierung des automatischen Fahrens näher gerückt ist. Auch die Fahrzeuge sind nun deutlich detaillierter, das Karosseriedesign etwas futuristischer gezeichnet, als in der Zeichnungvon 1938.
Abbildung 2.
Das Bild zeigt, dass sich das automatische Fahren in einer Übergangsphase zwischen alten und neuen Mobilitätskonzepten befindet. Zwar hat der Fahrer im vorne abgebildeten Wagen das Volant losgelassen und sich zu den Passagieren im Fond gedreht. Die Beifahrerin muss jedoch ihren Arm verrenken, um mit den Freunden auf der Rückbank sprechen zu können. Stundenlange Autobahnfahrten dürften so zur Tortur werden. Der Zeichner konnte es sich offensichtlich noch nicht erlauben, das Steuerrad ganz weg zu lassen und die Vordersitze zu drehen. Auch im Text findet sich diese Haltung: Gleich drei Mal in Folge betont der Autor, der Fahrer könne zwischen zwei Steuerungsmodi wählen und das System zum Ausfahren aus der Magnetspur manuell übersteuern.[35] Für ein vollautomatisches Fahrzeug war das Publikum offensichtlich noch nicht bereit.
Americas Independent Electric Light and Power Companies schalteten 1956 in LIFE eine Anzeige (Abb. 3), die ästhetisch wesentlich weiter ging. Im Vordergrund ist eine große Limousine zu sehen, die auf der Mittelspur eines hellen Autobahnbandes, das sich bis zum Horizont erstreckt, dahin rollt. Neben der Zentralperspektive ist die weitere Absenkung des Augenpunktes von großer Bedeutung. Während der Blick in den oben besprochenen Illustrationen aus großer Höhe und Entfernung geworfen wurde, befindet sich der Betrachter nun dicht hinter dem Wagen, was diese Vision in dramatischer Weise real erscheinen lässt. Damit ist eine weitere Bildstufe erreicht worden.
Abbildung 3
Bedeutsam ist das große Glasdach, das mehr als die Hälfte des Bildes ausfüllt. Es lenkt den Blick in den Innenraum des Autos. Eine vierköpfige Familie sitzt um einen Tisch herum, als wäre das Auto ein Ersatzwohnzimmer. Alle Familienmitglieder werden den zeitgenössischen gesellschaftlichen Konventionen gemäß dargestellt. Der Vater besetzt den Fahrersitz, auch wenn er sich vom Lenkrad abgewandt hat. Mutter und Tochter spielen Domino, während der Sohn sein Modellflugzeug betrachtet. Angegurtet scheint aber niemand zu sein, während das Auto einer gestrichelten Linie auf der kaum befahrenen Strecke folgt.
Dieses Motiv zeigt, dass Bilder automatischer Fahrzeuge in erster Linie eine ideale Oberfläche für die Inszenierung der harmonischen Kleinfamilie waren. So definierte die populäre Frauenzeitschrift McCalls die Idealfamilie 1954 über das gemeinschaftliche Beisammensein und das Teilen gemeinsamer Erfahrungen.[36] Diese »family togetherness« entwickelte sich schnell zu einem nationalen Ideal. Die 1950er Jahre können als »Goldenes Zeitalter« der Familie bezeichnet werden, was sich vor allem am frühen Heiratsalter beider Geschlechter und der geringen Scheidungsrate festmachen lässt und als Reaktion auf die Zeit des Krieges und der Depression interpretiert werden kann: Die Familie bildete demnach einen Gegenpol zu den zunehmend anonymisierten Arbeitsumgebungen, unter denen die persönlichen Beziehungen litten.[37] Die Anzeige zog ihre Attraktivität aus diesen sozialhistorischen Bedingungen, indem sie ein utopisches Gegenbild zur Arbeitswelt aufzeigte. Tatsächlich lautet bis in die Gegenwart eines der wichtigsten Versprechen des automatischen Fahrens, die mit dem Steuern verbrachte Zeit in gemeinsam mit der Familie verbrachte Freizeit zu verwandeln.
DAS INTERSTATE-SYSTEM UND DER TRAUM VOM MAGIC HIGHWAY
Ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Ende des Koreakrieges, durchliefen die USA eine Zeit dramatischer Veränderungen. Die Massenkonsumgesellschaft begann sich voll zu entfalten. Die Expansion des Automobilismus, schon seit den 1920er Jahren unverzichtbarer Bestandteil des amerikanischen Lebensstils, führte nun zu einer beschleunigten Transformation des Raumes, vor allem des Systems Straße: Der Straßenbelag wurde härter und breiter; Lichter, Streifen und Zeichen wiesen den Reisenden nun in wachsender Zahl den Weg, Servicestationen entstanden.[38]
Bedeutsam war vor allem der Bau des überregionalen Interstate Highway Systems, das offensichtlich direkt von Norman Bel Geddes Magic Motorways inspiriert worden war.[39] Nach der Wiederwahl von Präsident Dwight D. Eisenhower verabschiedete der Kongress mit dem Federal-Aid Highway Act 1956 ein Programm zum Bau der Interstate and Defense Highways. Wie der Name bereits andeutet, spielten bei der Planung neben dem niedrigen Ölpreis und dem Druck der Auto-Lobby auch militärische Überlegungen eine Rolle: Die Autobahnen sollten im Falle eines Nuklearangriffs als Fluchtwege dienen.[40] Eisenhower legitimierte das Zehn-Milliarden-Dollar-Projekt in der Öffentlichkeit aber mit seinen segensreichen Wirkungen auf die Unfallprävention. Die Interstate Highways würden »4.000 Amerikanern pro Jahr das Leben retten«.[41]
Walt Disneys Fernsehfilm MAGIC HIGHWAY U.S.A. (1958, Regie: Ward Kimball) ordnet dieses gigantische Autobahnprojekt in eine lineare Fortschrittsgeschichte ein. In einer Mischung aus dokumentarischen Archivaufnahmen und fiktionalen Cartoon-Animationen erzählt der Film die Geschichte der amerikanischen Straße.[42] Die negativen Folgen der Massenmotorisierung werden dabei ohne Umschweife hervorgehoben: Pannen, Unfälle, Staus und Naturzerstörung machen deutlich, dass die Geschichte der Straße eine Geschichte der Gewalt ist. Der zweite Teil des Films stellt diesen Missständen die Lichtgestalt des »Highway Engineer« entgegen. Er wird die Straßen bauen, die alle Übel heilen werden. Und dazu gehört das zukünftige automatische Fahren, das wie in der LIFE-Anzeige mit dem konservativen Idealbild der amerikanischen Familie kombiniert wird.[43] Dreh- und Angelpunkte sind dabei ein patriarchales Geschlechtermodell, Vollbeschäftigung und Konsum. Die Zeichentricksequenz zeigt, wie eine Familie in ein futuristisches Auto steigt und der Vater das Ziel auf einem Mischpult eingibt. Dann hält er per Bildtelefon eine Geschäftskonferenz ab. Die Familie könne sich nun gemeinsam »entspannen«, wie der Sprecher anschließend betont. Schließlich wird der Vater im Büro abgesetzt und Mutter und Sohn fahren ins Shopping Center.
Das Versprechen des automatischen Fahrens zielte hier darauf ab, die Intensität von Arbeit und Freizeit zu erhöhen. Vor allem spielte diese Sequenz aber in deutlicher Weise auf die langen Autofahrten von den Vorstädten in die urbanen Zentren an. Das schnelle Anwachsen der Suburbs stellte eine der wichtigsten sozialen Veränderungen der Nachkriegszeit dar. Von den 13 Millionen Häusern, die von 1948 bis 1958 in den USA gebaut wurden, entstanden 85 Prozent in den Vorstädten.[44] Für die Familien bedeutete dies meist genau das Gegenteil von »family togetherness«: Durch die Notwendigkeit, zur Arbeit zu pendeln, hatten viele Väter kaum noch Zeit, sich um ihre Familien zu kümmern.[45] Die Ehefrauen fuhren die Kinder im Auto zur Schule, zum Musikunterricht, zum Arzt. Ihnen fehlten soziale Kontakte, ihr Leben vollzog sich in Isolation und Langeweile. Insofern zeigt der Film ein verfälschendes Bild der geschlechtlichen Arbeitsteilung, da die Reproduktionsarbeit ausgeblendet wird.
MAGIC HIGHWAY U.S.A. endet damit, dass ein automatisches Fahrzeug auf einer zentralperspektivisch angelegten Autobahn dem glutroten Sonnenuntergang entgegen fährt. Damit begegnen wir erneut der utopischen Ästhetik, die sich seit den 1930er Jahren durch die populäre Kultur zieht. Walt Disney kommentiert diese Einstellung mit den Worten, die Straße verbinde alle Nationen, sie sorge für »ein besseres Verständnis zwischen den Völkern der Welt«.[46] Das automatische Fahren führe wie ein »magischer Teppich zu neuen Hoffnungen, neuen Träumen«, hin zu einem besseren Leben in der Zukunft.[47]
DIE ÄSTHETISIERUNG TECHNISCHER VERSUCHE
Bisher wurde gezeigt, wie populäre Zeitschriften und Filme das fahrerlose Auto seit den 1930er Jahren in utopische Bildlandschaften versetzten. In den 1950er Jahren bekam diese Bildgeschichte eine neue Dynamik, da in der Automobilindustrie Technologien entwickelt wurden, die den automatischen Verkehr möglich machen sollten. GM testete 1953 gemeinsam mit dem Elektronikhersteller Radio Company of America (RCA) ein Miniatur-Modell der automatischenStraße.[48] Am 14. Februar 1958 absolvierte das erste »automatically guided automobile« im Technical Center von GM in Warren (Michigan) eine Teststrecke von einer Meile.[49] Die Ingenieure brachten im Frontbereich eines 1958er Chevrolet einen elektronischen Fühler an, der einem in der Straße verlegten Kabel folgte und das Steuerrad danach ausrichtete.[50] GM stützte sich dabei auf Forschungen des Fernsehpioniers Vladimir Zworykin (1888–1982).
Abbildung 4
Populärwissenschaftliche Zeitschriften griffen diese Versuche mit einer pluralisierten Bildstrategie auf, deren Rhetorik sich in signifikanter Weise von den bisher erwähnten technoutopischen Zeichnungen absetzte. So berichtete Popular Science 1958 von einer Versuchsfahrt auf der GM-Teststrecke.[51] Die erste Fotografie zeigt tatsächlich eine junge Frau, die lachend das Steuer eines automatischen Wagens loslässt und ihre Hände wie der »neue Mensch« gen Himmel hebt (Abb. 4). Durch die Verwendung dieses emotionalen Motivs gehört das Bild eindeutig der Ordnung des Spektakulären an.
Abbildung 5
Die dokumentarische Inszenierung technischer Apparaturen steht im Zentrum der beiden folgenden Fotos (Abb. 5): Gebückt teeren Arbeiter ein Führungskabel in eine Straße ein. Das Foto rechts daneben gibt den Blick in das komplizierte Innenleben eines Steuerungscomputers frei. Das dritte Bild (Abb. 6) ist eine Schnittgrafik. Sie demonstriert die Funktionsweise des Autoguide-Systems und gehört damit zum veranschaulichenden Bildtypus. Alle drei Bildarten – das spektakuläre und das dokumentarische Foto sowie die veranschaulichende Grafik – setzen sich von der utopischen Bildästhetik ab, die die populärkulturelle Berichterstattung über das automatische Fahren bis dahin beherrschte. Die nun gezeigten Bilder haben vor allem eine Beglaubigungsfunktion: Sie sollen beweisen, dass selbstgesteuerte Autos bereits existieren, einfach und gefahrlos sind. Die Technik wird als anwendungsreif dargestellt.[52]
Abbildung 6
Ein Blick in weitere Berichte über die technische Entwicklung des automatischen Fahrens zeigt aber, dass die utopische Inszenierung aus dieser technisierten Bildsprache nicht völlig verschwand. Besonders bemerkenswert ist ein Foto (Abb. 7), das auf einer Teststrecke aufgenommen wurde. Etwa in derselben Perspektive wie in der LIFE-Anzeige fällt der Blick von schräg hinten auf ein offenes Cabriolet, das einem anderen Wagen auf einer Landstraße zu folgen scheint, die sich in einer weiten Linkskurve vor dem Wagen erstreckt.[53] Der Fahrersitz ist leer und das Steuerrad fehlt. Nur rechts ist ein Beifahrer zu sehen, der dem Betrachter den Rücken zugekehrt hat und verschiedene Messinstrumente betrachtet, die zusätzlich auf dem Armaturenbrett angebracht wurden.
Auf einzigartige Weise vereint dieses Foto das utopische Bildelement der Fluchtperspektive mit dem spektakulären Element des fehlenden Lenkrads und dem technisch-dokumentarischen Objekt eines Messgerätes.[54] Auch in der Vermittlung der technischen Entwicklung bleibt die utopische Ikonografie des automatischen Fahrens also wirksam.
Abbildung 7
ANWENDUNGSREIFE NEBENPRODUKTE DER TECHNIK-UTOPIE
Zu den utopischen Visionen, die zeichnerisch und filmisch imaginiert wurden und den technischen Versuchssystemen, die grafisch und fotografisch in Szene gesetzt wurden, kamen Mitte der 1950er Jahre konkrete Anwendungen hinzu. Diese serienreifen Nebenprodukte der Technik-Utopie brachten wiederum eine neue Bildform mit sich: Popular Science berichtete 1954 über ein »wohl erzogenes« Gaspedal, den von Ralph Teetor (1890–1982) entwickelten Speed-o-Stat. Dieser automatische Geschwindigkeitshalter und -begrenzer erfreute sich unterden Namen Tempomat oder Cruise Control bald großer Beliebtheit.[55] Die Zeitschrift präsentierte das System als Meilenstein auf dem Weg zum automatischen Fahren und ordnete es damit in eine größere Fortschrittsbewegung ein.[56] Tatsächlich verlief diese Bewegung aber umgekehrt: Mit der Entwicklung des Tempomats koppelte sich das in reduzierter und individualisierter Form automatisch fahrende Auto von der Großvision automatischer Autobahnen ab. Deutlich wird dies auch in einem Popular Science-Artikel von 1958.[57] Dort heißt es, Chrysler habe ein neues »supergadget« entwickelt, einen »Auto-Piloten« für 86 Dollar Aufpreis. Vom automatischen Verkehr ist nun keine Rede mehr, die utopische Vision schrumpft und kondensiert in einer Ware, die sofort verfügbar ist.
Abbildung 8
Diese neue Logik der Unmittelbarkeit ging wiederum mit einer neuen Bildform einher. Das begleitende Foto (Abb. 8) zeigt einen verchromten Drehknopf, der neben dem Tachometer am Armaturenbrett angebracht ist und der Geschwindigkeitseinstellung dient. Zu sehen ist außerdem eine Hand: Daumen und Zeigefinger sind dabei, den Schalter zu drehen. Diese Nahaufnahme stand am Ende einer langen bildlichen Annäherungsgeschichte an das technische Objekt, die mit den fernen Landschaftspanoramen begonnen hatte. Damit lassen sich historisch aufeinander folgende Bild-Stufen identifizieren, die vom Abstrakten zum Konkreten, von der Zeichnung zum Foto, von der Außenaufnahme zum Innenraum, von der Gesamtschau zum Detail, vom Kollektiv zum Individuum verlaufen.
EIN TECHNIK- UND BILDHISTORISCHER DREISCHRITT
Technikgeschichte beginnt mit Bildern, mit Imaginationen eines technisch bislang unvorstellbaren, noch nicht realisierbaren Traumes. Die technischen Visionen gehen den technischen Erfindungen voraus. Dies zeigt zumindest die Bild- und Technikgeschichte des automatischen Fahrens. Es waren Bilder, mit denen das fahrerlose Automobil in den 1930er Jahren zum Leben erweckt wurde. Das utopische Bildmotiv des zentralperspektivischen Autobahnpanoramas war die große Innovation dieser Anfangsphase. Das Imaginäre der Technik entfaltete sich, während die Frage der technischen Umsetzung zunächst zweitrangig blieb. Dieses Ungleichgewicht zwischen bildlichen und technischen Entwürfen ist ein typisches Merkmal technischer Utopien.
In den 1950er Jahren bekam die Bildgeschichte eine besondere Dynamik. Das utopische Panoramamotiv wurde in immer realistischeren Varianten weiterentwickelt (Abb. 3). Hinzu kam die fotografische Inszenierung der Teststrecken (Abb. 11), die utopische und dokumentarische Bildelemente verknüpfte. Nahaufnahmen bekräftigten die unmittelbare Verfügbarkeit des Autopiloten (Abb. 8). Technische Schnittbilder öffneten die unter Motorhauben und Schutzkapseln verborgenen Innereien dem wissbegierigen Blick.
In dieser Bildproduktion lässt sich ein Dreischritt aus utopischen Hoffnungsüberschüssen, industriellen Testsystemen und käuflichen Anwendungen wiedererkennen. Bedeutsam ist, dass diese Konstellation nicht zwangsläufig chronologisch verläuft. In den 1950er Jahren treten alle drei Stränge ungefähr zeitgleich auf. Visionäre, Ingenieure und Produzenten beeinflussen sich gegenseitig. Die Bilder geben darüber Auskunft: So ist die utopische Bildsprache in den technisierten Darstellungen weiterhin aktiv.
Dieser Dreischritt stellt vermutlich ein universelles Muster technischer Entwicklungen dar. Der Traum von Unsterblichkeit wird beispielsweise durch die pharmazeutische Erforschung des Alterns flankiert, die jederzeit käufliche Anti-Aging Creme verspricht schnelle Abhilfe. Auch hier sind Utopie, Forschung und Produktinnovation eng miteinander verwoben, bringen eigenständige Bildformen hervor und werden von diesen wiederum angetrieben.
An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass die Vision des fahrerlosen Autos geradezu darauf angewiesen zu sein scheint, nicht realisiert zu werden. Dies verweist auf die »Magie des Bildes«: Wie oben angedeutet, können Bilder technische Entwicklungen antreiben, ihnen den Weg bereiten. Bilder erinnern auf beunruhigende Weise an das Machbare. Gerade in dieser Funktion können sie aber auch dafür sorgen, dass Innovationen gerade nicht umgesetzt werden. Ende der 1960er Jahre begann das automatisch fahrende Auto mit HERBIE (1968, Regie: Robert Stevenson) eine bis heute anhaltende Filmkarriere. Es bereitet uns Vergnügen, Arnold Schwarzenegger in TOTAL RECALL, (1990, Regie: Paul Verhoeven), Bruce Willis in DAS FÜNFTE ELEMENT (1997, Regie: Luc Besson) oder Will Smith in I, ROBOT (2004, Regie: Alex Proyas) dabei zuzusehen, wie sie bei atemberaubendem Tempo versuchen, die manuelle Kontrolle über ihre automatischen Fahrzeuge zurückzugewinnen.
Die Imagination eines automatischen Wagens ist Traum und Alptraum zugleich. Wir lieben fahrerlose Autos, weil sie uns zum Träumen anregen. Und da es so schön ist, von ihnen zu träumen, wäre ihre tatsächliche Realisierung ein Alptraum. Sie würden unseren Traum zerstören. Um von der Zukunft träumen zu können, darf sie nicht zur Gegenwart werden. Deshalb lautet unser wichtigster Wunsch vielleicht, dass das automatische Fahren immer 20 Jahre entfernt bleiben möge.
[1] Vgl. Jameson M. Wetmore: »Driving the Dream. The History and Motivations Behind 60 Years of Automated Highway Systems in America«, in: Automotive History Review (Sommer 2003), S. 4–19; hier S. 14.
[2] Vgl. Stefan Majetschak: »Sichtvermerke. Über Unterschiede zwischen Kunst- und Gebrauchsbildern«, in: Ders. (Hg.): Bild-Zeichen. Perspektiven einer Wissenschaft vom Bild, München 2005, S. 97–121; hier S. 97.
[3] Vgl. Wilhelm Voßkamp: »Wunschtraum und Albtraum. Zur Utopieforschung von Norbert Elias«, in: Leviathan 37 (2009), S. 477–489; hier S. 487.
[4] Zur Technikgeschichte des automatischen Fahrens gibt es bis auf die Studie von Wetmore (vgl. Anm. 1) nur kurze Bemerkungen; vgl. hierzu Kurt Möser: Geschichte des Autos. Frankfurt am Main 2002, S. 101; Möser wiederum referiert auf Klaus Kuhm: Moderne und Asphalt. Die Automobilisierung als Prozeß technologischer Integration und sozialer Vernetzung, Pfaffenweiler 1997, S. 168. Die Bildgeschichte spielt darin keine Rolle.
[5] Vgl. Hartmut Böhme: »Kulturgeschichte der Technik«, in: Ders./Peter Matussek/Lothar Müller (Hg.): Orientierung Kulturwissenschaft, Hamburg 2000, S. 164–178; hier S. 168.
[6] Vgl. Peter D. Norton: Fighting Traffic. The Dawn of the Motor Age in the American City, Cambridge, Mass. 2008, S. 25.
[7] Vgl. ebd., S. 21.
[8] Vgl. Paul E. Ceruzzi: Beyond the Limits: Flight Enters the Computer Age, Cambridge, Mass. 1989, S. 183.
[9] Die Bildgeschichte des Transports der Zukunft war bis in die 1920er Jahre hinein von Nahverkehrsvisionen dominiert. Erst im Zuge seiner massenhaften Ausbreitung wurde auch das Automobil zum Objekt phantastischer Imaginationen; vgl. Joseph J. Corn/Brian Horrigan: Yesterday‘s Tomorrows – Past Visions of the American Future, Baltimore, London 1996, S. 88.
[10] Autos dienten dem frühen Film als Werkzeug, um seine phantastischen Aspekte zu entwickeln. Sie wurden für Illusionstheater genutzt und in magische Traditionen integriert, etwa von George Meliès in Le voyage travers l ́impossible (1904); vgl. Dorit Müller: »Transfers between Media and Mobility: Automobilism, Early Cinema, and Literature, 1900–1920«, in: TRANSFERS, Interdisciplinary Journal of Mobility Studies 1 (2011) 1, S. 50–72; hier S. 54f., S. 60; vgl. auch: Dies.: Gefährliche Fahrten. Das Automobil in Literatur und Film um 1900, Würzburg 2004.
[11] Der Name Jam Handy zierte sehr viele Produktionen des Education- und Ephemeral Film-Genres. Rekordschwimmer und Werbefilmer Henry Jamison Handy begann mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Trainingsfilme für das Militär zu drehen und gründete die Jam Handy Organization. Nach dem Krieg wurde die Firma zur Chicago-Detroit-Vertretung von Bray Productions und konzentrierte sich fortan auf Filme für die Autoindustrie.
[12] Vgl. Greg Siegel: Technologies of Accident: Forensic Media, Crash Analysis and the Redefinition of Progress, Chapel Hill 2005, S. 161.
[13] Vgl. J.M. Wetmore: Driving the Dream, S. 2.
[14] Vgl. J.J. Corn/B. Horrigan: Yesterday‘s Tomorrows, S. 6.
[15] Ebd. (Übersetzung durch den Autor).
[16] Zit. nach Lolly Ockerstrom: »Popular Mechanics«, in: St. James Encyclopedia of Pop Culture vom 29. 01.2002 (Übersetzung durch den Autor), http://findarticles.com/p/articles/mi_g1epc/is_tov/ai_2419100975/ (Zugriff: 06.12.2011).
[17] Vgl. E.W. Murtfeldt: »Highways of the future«, in: Popular Science 1938/5, S. 27–29, S. 118–119.
[18] Vgl. ebd., S. 28.
[19] Vgl. ebd., S. 118.
[20] Der Begriff der Wunschlandschaft stammt von Ernst Bloch. Er umschrieb damit die raum-utopische »offene Ferne« und Weite in Gemälden von van Eyck, Leonardo und Rembrandt; vgl. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Bd. 2, Frankfurt am Main 1959, S. 935.
[21] Vgl. E.W. Murtfeldt: Highways, S. 27.
[22] Vgl. Miller McClintock: Street Traffic Control, New York 1925.
[23] Vgl. P.D. Norton: Fighting Traffic, S. 249.
[24] Vgl. Norman Bel Geddes: Horizons, Boston 1932.
[25] General Motors: Futurama, Broschüre zur Ausstellung, USA 1940, S. 8.
[26] Schon 1937 hatte Bel Geddes erfolglos versucht, GM-Präsident William Knudsen vom Futurama zu überzeugen. Dieser zog es aber zunächst vor, eine Chevrolet-Fließbandfertigung auszustellen, die schon 1933 in Chicago gezeigt worden war; vgl. Roland Marchand: »The designers go to the Fair, II: Norman Bel Geddes, The General Motors ›Futurama‹, and the Visit to the Factory Transformed«, in: Dennis P. Doordan (Hg.): Design history: An anthology, Cambridge, Mass. 1995, S. 103–121; hier S. 108.
[27] Vgl. R. Marchand: The designers go to the Fair, S. 110 sowie Adnan Morshed: »The Aesthetics of Ascension in Norman Bel Geddes’s Futurama«, in: The Journal of the Society of Architectural Historians 63 (2004) 1, S. 74–99; hier S. 74.
[28] Vgl. To New Horizons (1940; Produktion: General Motors/Jam Handy Organization), vor allem 6‘41“–7‘20“, 3‘35“–4‘03“ sowie 4‘28“–5‘30“.
[29] Zit. nach J.M. Wetmore: Driving the Dream, S. 24 (Übersetzung durch den Autor).
[30] Vgl. A. Morshed: Aesthetics, S. 77f.
[31] »The bridge-like structure on the Motorway is a traffic control tower, from which efficiently trained experts advise drivers by radio control signals when and how they may safely move from one traffic to another.« General Motors Corp. (Hg.): Futurama, New York 1940, S. 6, 8.
[32] Vgl. To New Horizons (wie Anm. 28), ab 14‘33“.
[33] Vgl. J.M. Wetmore: Driving the Dream, S. 5.
[34] Vgl. George W. Gibson: »Why Don’t We Have… CRASH-PROOF HIGHWAYS«, in: Mechanix Illustrated 1953/6, S. 58–60, 184.
[35] Vgl. ebd.
[36] Vgl. Steven Mintz/Susan Kellog (Hg.): Domestic revolutions: A social history of american family life, New York 1988, S. 180.
[37] Vgl. ebd., S. 177–180.
[38] Vgl. Kenneth I. Helphand: »McUrbia: The 1950s and the Birth of the Contemporary American Landscape«, in: Places 5 (1988) 2, S. 40–49; hier S. 41.
[39] Vgl. Norman Bel Geddes: Magic Motorways, New York 1940; vgl. auch Helen Burgess: »Futurama, Autogeddon: Imagining the Superhighway from Bel Geddes to Ballard«, in: Rhizomes 2004/8, http://www.rhizomes.net/issue8/futurama/index.html (Zugriff: 06.12.2011).
[40] Vgl. Jane Holtz Kay: »The Asphalt Exodus«, in: Peter Wollen/Joe Kerr (Hg.): Autopia, Cars and Culture, London 2002, S. 266–276; hier S. 270.
[41] P.D. Norton: Fighting Traffic, S. 253 (Übersetzung durch den Autor).
[42] Vgl. A. Bowdoin Van Riper: »A Nation on Wheels, Films about Cars and Driving, 1948–1970«, in: Ders. (Hg.): Learning from Mickey, Donald and Walt: Essays on Disney’s Edutainment Films, Jefferson, NC 2011, S. 103–112. Jay P. Telotte schreibt, das narrative Muster von Magic Highway U.S.A. habe die Balance zwischen Fakt und Fiktion nicht eingehalten, auf die Walt Disney so großen Wert gelegt habe. Der Film sei stark vom realen Autobahnbau beeinflusst gewesen, und die Darstellung des automatischen Fahrens sei kaum von Science Fiction zu unterscheiden; vgl. Jay P. Telotte: The mouse machine: Disney and technology, Urbana, Chicago 2008, S. 112f.
[43] Vgl. Magic Highway U.S.A., ab 39‘00“.
[44] Vgl. S. Mintz/S. Kellog: Domestic revolutions, S. 183.
[45] Vgl. ebd., S. 184.
[46] Magic Highway U.S.A., 47‘05“ – 47‘25“ (Übersetzung durch den Autor).
[47] Ebd. Das Versprechen, Technologie führe zu einem besseren Leben, zieht sich laut Van Riper durch alle automobilbezogenen Disneyfilme; vgl. A.B. Van Riper: A nation on Wheels, S. 110f.
[48] Vgl. J.M. Wetmore: Driving the Dream, S. 6.
[49] Vgl. General Motors Corp.: »An automatically guided automobile cruised along a one-mile check road at General Motors technical Center today…« Pressemitteilung, zit. nach ebd., S. 7.
[50] Vgl. Martin Mann: »The Car That Drives Itself«, in: Popular Science 1958/5, S. 76.
[51] Vgl. ebd., S. 75–79 sowie S. 227.
[52] Eine Gemeinsamkeit aller Visionen des automatischen Fahrens von den späten 1930er bis in die 1970er Jahre bestand darin, einen Totalumbau der Straße zu fordern. Deshalb stellen diese Nebenprodukte der Utopie des automatischen Fahrens echte Innovationen dar. Sie lösten sich vom Leitdrahtprinzip der utopischen Großvision. Diese blieb dennoch bis in die 1970er Jahre kulturelles Leitbild. Erst mit dem Einwandern der Computertechnologie in das Automobil löste sich die Idee des fahrerlosen Autos von einer entlang der Straße installierten Infrastruktur. Dies führte dazu, dass tatsächlich autonome Fahrzeuge konzipiert werden konnten, die virtuellen Leitsystemen folgen.
[53] Vgl. »PS Picture News«, in: Popular Science 1960/9, S. 89. Popular Science stellt hier eine andere Teststrecke von GM und RCA in Princeton (New Jersey) vor.
[54] Der veranschaulichende Bildtyp erscheint hier in Form einer nüchternen Grafik, die eine Straße mit Leitkabeln zeigt.
[55] Vgl. Frank Rowsome Jr.: »Educated Gas Pedal Keeps the Cops Away«, in: Popular Science 1954/1, S. 166–169, 264.
[56] Vgl. ebd., S. 166; vgl. auch J.M. Wetmore: Driving the Dream, S. 34.
[57] Vgl. Frank Rowsome Jr.: »What It’s Like to Drive an Auto-Pilot Car«, in: Popular Science 1958/4, S. 105–107, 248, 250.