(Anmerkung: Dieser Artikel ist am 27. November 2010 auf Telepolis erschienen. Bitte lesen Sie den Artikel auch dort mit funktionierenden links und Fotos).
Das Automobil durchläuft derzeit eine bedeutsame kulturelle Mutation: Hohe Spritpreise, der Klimawandel und veränderte Kundenwünsche haben dazu beigetragen, dass die Tage des seit über 100 Jahren in seinem Grundprinzip unverändert gebliebenen Verbrennungsmotors gezählt sind. Nun kreisen die Versprechen der Autohersteller um die Verheißung des Elektroautos. Zahlreiche große Automarken wollen 2013 den Verkauf starten[1]. Eine schnelle Ablösung des Benzinmotors ist aber nicht zu erwarten: In Europa werden Elektroautos bis 2020 höchstens einen Marktanteil von fünf Prozent erobern, schätzt[2] Peugeot. Die Nachfrage wird weit unter der Produktionskapazität bleiben.
Es sind nicht nur die hohen Batteriekosten und die geringe Reichweite, die dem Hype enge Grenzen setzen. Übersehen wurde bisher, dass der Übergang von Benzinmotoren zu Elektroantrieben die kulturelle Symbolik des Automobils einschneidend verändern wird. Historisch setzte der Benzinmotor das Auto nicht nur in Bewegung, er befeuerte es vor allem mit Bedeutung. Es war die besondere Aura des Benzinmotors, die das Auto zu einem Objekt säkularer Magie werden ließ, dessen Qualitäten als Fortbewegungsmittel in den Hintergrund traten.
Der Benzinmotor setzte sich durch, weil er intensivere Empfindungen erzeugte als das Elektromobil
Um erahnen zu können, mit welchen kulturellen Umbrüchen das Ende des Benzinautos verbunden sein wird, muss zunächst in Erinnerung gerufen werden, weshalb sich der Verbrennungsmotor historisch überhaupt gegen Dampf- und Elektroantriebe durchsetzen konnte.
Anfang des 20. Jahrhunderts war es noch offen, welches Antriebssystem einmal dominieren würde: In den USA waren 40 Prozent der Autos dampfgetrieben, 38 Prozent fuhren elektrisch und nur 22 Prozent mit Benzin. Auch in Deutschland waren Benzinwagen im Jahre 1905 nur die dritte Wahl nach Dampfkraft- und Elektrofahrzeugen.
Wenig später wurde dann aber die sportliche Überlandfahrt zur wahren Attraktion des Automobils. Damit sei der Wunsch nach einer abenteuerlichen Fühlbarkeit hoher Geschwindigkeiten erwacht, schreibt der Historiker Kurt Möser[3] in seiner Geschichte des Autos. Und es war das Benzinautomobil, das diese Verheißung am Besten erfüllte – wobei die Akustik eine wichtige Rolle spielte:
Das Geräusch und die Gewalt des Explosionsmotors erzeugten viel intensivere Empfindungen als das zahme Summen des Elektromobils oder das gentlemantypische Geräusch des Dampfwagens. Dass der Benzinwagen rau, laut und aggressiv auftrat, reduzierte seine Beliebtheit nicht, sondern steigerte sie. Auch die Pannenträchtigkeit der Verbrennungsmotoren erwies sich nicht als Wettbewerbsnachteil, sondern als abenteuerliche Herausforderung.
Kurt Möser
Der Siegeszug des Benzinmotors im 20. Jahrhundert ist also nicht allein durch eine überlegene Technik erklärbar. Technische Entwicklungen können sich nur im Fahrwasser kultureller Wünsche durchsetzen. Und erstaunlicherweise waren es Imperfektionen wie Lärm und Pannen, die den Verbrennungsmotor begehrenswert machten.
Wodurch lässt sich der Reiz der „intensiven Empfindungen“ erklären?
Es ist das intime Verhältnis zum menschlichen Körper, dem der Benzinmotor seine außerordentliche Attraktivität verdankt. Der Motor bietet dem Fahrer nicht nur einfach intensive körperliche Erlebnisse. Der Motor scheint den Körper des Fahrers sogar zu imitieren. Der Mensch kann sich also in seiner Maschine spiegeln.
Mein Auto ist wie ich: Es raucht, es säuft, und manchmal bumst es.
Dieser Autoaufkleberspruch aus den 80er Jahren bringt es vulgär, aber treffend auf den Punkt: Autos ziehen ihre Faszination aus einer Verwandtschaft zum menschlichen Körper.
Bekannt ist, wie sich diese Verlebendigung außen im Karosseriedesign zeigt: Kühlerfronten werden wie große Nüstern gestaltet, Scheinwerfer starren uns aus mandelförmigen Sicheln an, großvolumige Motoren wölben sich wie Muskelpakete unter der Haube. „Ich bin mein Auto“ – davon träumt jeder Fahrer, wohl insbesondere die männlichen. Das glänzende Objekt, das uns wie eine zweite Haut umhüllt, soll unser Selbst, unseren Organismus spiegeln, ihn aber gleichzeitig wie eine Organprothese erweitern und kraftvoll übersteigen.
Der Slogan des Aufklebers weist nun aber darauf hin, dass das Benzinauto diese Wünsche nicht nur in der äußeren Form, sondern auch mit seinem Innenleben befriedigt: Um seinen Durst zu stillen und sein Herz zu schmieren, müssen Flüssigkeiten in verschiedene Öffnungen gefüllt werden. Diese Nährstoffe werden dann explosiv im Verbrennungsmotor verdaut und am Heck in Form giftiger Gase lärmend wieder ausgeschieden. In welch hintersinniger Beziehung Verkehrsunfälle und Geschlechtsverkehr stehen, wissen wir spätestens seit David Cronenbergs Film „Crash“ (CAN/USA 1996).
Autorennen – Feste des Benzinmotors
Der Motorwagen zehrt energetisch von dieser archaischen Analogie zum menschlichen (Geschlechts-) Körper. Nirgendwo wird dies sinnlicher in Szene gesetzt, als bei Autorennen. Das ohrenbetäubende Donnern der Motoren, dunkle Abgaswolken und beißender Benzingeruch: Lärm und Gestank bilden seit jeher das Fluidum des mit Testosteron angereicherten Motorsports.
Besonders intensiv wird diese im Auspuff symbolisierte Mythologie des Motors im Film gefeiert: Der Rennfahrerfilm „Grand Prix“ (USA 1966) von John Frankenheimer beginnt mit der Nahaufnahme eines bebenden Auspuffrohres, in das wir hineinblicken. Brüllend startende Motoren blasen dem Zuschauer feurige Abgaswolken direkt ins Gesicht.
Eine Sinfonie singender Motoren ist auch der Film „Le Mans“ (USA 1971) mit Steve McQueen. Dumpf grollende Zwölfzylinder und blubbernde V-8 Blöcke beschleunigen den Herzschlag der Zuschauer – ähnlich wie die vor Kraft berstenden Dragstermotoren in David Cronenbergs „Fast Company“ (USA 1979). Im Infernalischen des Rennwagens jagt das Automobil seiner kulturellen Vollendung nach.
Vom Betanken zum Aufladen
Was passiert aber nun, wenn Benzinmotoren durch Elektroantriebe ersetzt werden? Taugt ein Elektrorennwagen noch als Überkörper, als Selbstverstärker, Ich-Maschine? Elektrosportwagen wie der kürzlich vorgestellte Audi E-Tron auf R8-Basis[4] können äußerlich noch so muskulös gestaltet sein, sie verlieren die internen anthropomorphen Qualitäten, die das Benzinauto dem Menschen so ähnlich macht.
Denn ein elektrisches Fahrzeug muss nicht mehr betankt, sondern aufgeladen werden – ein grundsätzlich anderer Mechanismus. Zwar fließt auch hier etwas, nämlich der Strom, und es gibt auch eine Schnittstelle – der Stecker muss in eine Dose gesteckt werden -, diese Fütterung an der Ladestation[5]t jedoch viel körperferner und unsinnlicher, als der Stopp an einer alten Zapfsäule.
Strom tropft und stinkt nicht, und seine Verdauung produziert keine giftigen Gase, die hinten ausgeschieden werden müssen.
Künstliche Motorengeräusche für das Elektroauto
Elektromotoren brüllen und heulen auch nicht, sie summen leise wie unsere Computer. Da Motoren aber meistens unter der Karosserie verborgen sind, ist ihr Klang so wichtig: Paradoxerweise ist es ein Geräusch, das sie sichtbar macht. Ohne akustische Präsenz haben sie auch keine physische Präsenz mehr. Ein Motor, den man nicht hört, ist kein Motor mehr.
Deshalb ist es nicht erstaunlich, welches Merkmal der alten Technik in das neue Zeitalter hinübergerettet wird. Die Autoindustrie plant keine Auspuff-Attrappen oder Abgas-Simulationen mit Trockeneis, auch keinen gelben Flüssigstrom. Fast alle Hersteller arbeiten aber an synthetischen Motorengeräuschen, die von Lautsprechern in den Elektroautos erzeugt werden sollen. Der „Sound“ sei ein Kaufgrund, wissen[6] die Ingenieure bei Audi, der Klang eines Autos gehöre zum emotionalen Erlebnis dazu. Und tatsächlich ist die Stimme auch beim menschlichen Vorbild eine Bühne der Identität.
Manche Hersteller versuchen trotzdem, die Schweigsamkeit elektrischer Antriebe aufzuwerten: Man höre nur mehr das Rauschen des Windes, der über die Karosserie gleite, bemüht sich Renault-Chef Carlos Ghosn über die E-Autos zu schwärmen, die er bald verkaufen will.
Wird das Benzinauto das Schicksal des Pferdes teilen?
Ob die Geräuschkulisse von Autorennen in Zukunft der Tour de France ähnelt – rauschende Reifen anstatt jaulender Motoren – oder nur Elektrorennwagen mit künstlichen Stimmbändern die Zuschauer anlocken können, bleibt offen.
Wahrscheinlicher ist es, dass Autorennen einmal die letzte Domäne des Benzinautomobils sein werden. So wie das Pferd mit dem Aufkommen des Kraftfahrzeugs auf die sonntäglichen Trabrennbahnen verbannt wurde, könnte es auch dem Benzinauto ergehen. Vielleicht werden Benzinfahrzeuge durch eine strenge Umweltgesetzgebung von den normalen Straßen verbannt und Ausnahmegenehmigungen werden so teuer sein, dass sich nur Reiche das leisten können. Das Anlassen lärmender, stinkender Motoren wird zu einem exotischen Sonntagssport für Wohlhabende.
Für die Bedürfnisse der breiten Masse ist dann die Freizeitindustrie zuständig: Das sind zum einen die Spielkonsolenhersteller, die schon heute damit werben, „originalgetreuen Motorenklang“ zu bieten. Zum anderen ist die Automobilindustrie heute bereits Teil der Freizeitindustrie: In Abu Dhabi wurde Anfang November der gigantische Themenpark Ferrari World[7] eröffnet. In der „Formula Rossa“ getauften schnellsten Achterbahn der Welt können die Besucher in nachgebildeten Formel 1-Rennwagen mit bis zu 240 km/h durch die Halle rasen. Angetrieben wird das Fahrgeschäft allerdings weder mit Benzin- noch mit Elektromotoren, sondern hydraulisch.
Anhang
Links
[1]http://www.verivox.de/nachrichten/die-elektroauto-plaene-der-grossen-automarken-64318.aspx
[2] http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:erster-anbieter-psa-startet-mit-elektroauto-angriff-auf-renault/50180914.html
[3] http://www.geschichte.kit.edu/moeser.php
[4] http://www.audi.de/de/brand/de/erlebniswelt/design___technologie/audi_e-tron.html
[5] http://www.tuv.com/tib/mediadatabase/86498.jpg?
[6] http://www.audi-mediaservices.com/publish/ms/content/de/public/pressemitteilungen/2010/11/02/the_sound_of_silence.html
[7] http://www.ferrariworldabudhabi.com/
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