Shining Brands of Glass, Der Phaeton und die Gläserne Manufaktur Dresden

Seit dem Jahreswechsel produziert Volkswagen in der schon im Dezember von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeweihten “Gläsernen Manufaktur” in Dresden die neue Luxuslimousine “Phaeton”. Diesem Wesen soll im folgenden nachgespürt werden.

Die Drohung mit der Verheissung

Der Name des neuen Volkswagen stammt aus der griechischen Mythologie. Laut dem VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch steht Phaeton für “der Leuchtende”. Zudem sei Phaeton im vergangenen Jahrhundert eine Bezeichnung für besonders edle und repräsentative Kutschen gewesen. Wer sich die Mühe macht, die Geschichte des Phaëthon mit ë und h in den Metamorphosen des griechischen Dichters Ovid nachzulesen, erfährt allerdings einige ungewöhnliche Details.

Phaëthon, Sohn des Sonnengottes Phöbus oder Helios, zweifelt an seiner göttlichen Herkunft und fordert deshalb einen Pfand von seinem Vater. Der verspricht, ihm als Zeichen seiner väterlichen Liebe jeden Wunsch zu erfüllen. Da wünscht sich der Sohn, einmal mit dem Sonnenwagen fahren zu dürfen. Phöbus warnt Phaëthon, ihm fehle das Wissen, um den Wagen – “die Verheißung” – lenken zu können. Doch Phaëthon bleibt beharrlich, und so muss Phöbus nachgeben. Die geflügelten Rosse rasen los und schon bald verliert der Sohn die Kontrolle über den Sonnenwagen. Er schleudert, stößt an die Fixsterne an, lässt Wolken verdampfen und kracht auf die Erde. Daraufhin entzündet sich der Erdball und ganze Bevölkerungen werden ausgelöscht. Dem allmächtigen Zeus wird das zuviel und er erschlägt Phaëthon mit einem Donnerschlag. Ein Tag vergeht ohne Sonnenschein. Die Heliaden, Phaëthons Schwestern, beweinen den Bruder an seinem Grab. Dabei werden sie unversehens in Pappeln verwandelt, und so fließen ihre Tränen als getröpfelter Bernstein aus den Bäumen heraus.[1]

Die Frage, wieso ein Autokonzern ein Fahrzeug nach dem ersten Raser und in der Folge dem ersten Verkehrstoten der Kulturgeschichte benannt hat, lässt sich vielleicht beantworten, wenn man Ovids mythologische Erzählung und die gläserne Architektur der Dresdener Fabrik zusammenspielen lässt.

Das etymologische Wörterbuch informiert darüber, dass “Glas dem germanischen Kulturkreis fremd” gewesen sei. “Als die Germanen das Glas, und zwar zunächst in Form von Perlen und Schmuck, von den Römern kennen lernten, benannten sie es mit ihrem heimischen Wort für “Bernstein”. Diese Übertragung der Bezeichnung lag nahe, da auch der Bernstein fast ausschließlich in Form von Schmuck gehandelt wurde.”[2]

So schliesst sich der Kreis wieder. Die Tragödie geht dem Schauspiel voran. Aus den Tränen, die als Bernstein kristallisieren, wird das Glas, aus dem VW wiederum eine Fabrik baut, die neue Verheissungen hervorbringen soll.[3]

Ein Fahrzeug Phaeton zu nennen, könnte also dem Umstand geschuldet sein, dass “die Verheissung der modernen Technik in Drohung umgeschlagen ist, oder diese sich mit jener unlösbar verbunden hat”, wie es Hans Jonas in Prinzip Verantwortung nannte. Keine Figur verkörpert diesen Zyklus aus Verheissung und Apokalypse leuchtender als die des Phaëthon. Da der Phaeton sich als Auto aber verkaufen soll, muss er mit viel Eventkultur von dem apokalyptischen Beigeschmack befreit werden, der jeder mächtigen Technik eingeschrieben ist. Diesen Akt der Epiphanie, die Erscheinung der Gottheit unter den Menschen, verlegte Volkswagen allerdings vom Dreikönigstag in den März: Erst auf dem Genfer Automobilsalon darf der Phaeton wie Athena dem Schenkel Zeus’ den Fließbändern entspringen. Erst dann darf der technische Fetisch seine Faszination ausspielen.[4]

Das Leuchten der Marken

Wie kam Ferdinand Piëch nun aber darauf, den Phaeton als “der Leuchtende” vorzustellen? Das Phaenomenon bedeutet im Griechischen das “Erscheinende, das Einleuchtende”, den in seiner Sinnlichkeit gegebenen Gegenstand. Der Wortanfang phän… stammt wiederum vom Griechischen phainein ab und bedeutet “sichtbar machen, leuchten”. Davon leitet sich auch der Phänotyp ab, das Erscheinungsbild eines Organismus, das durch den Genotyp und die Umwelt geprägt wird. Vielleicht führt uns das auf eine Spur: Wäre der Phaeton ein Phänotyp, was macht er dann sichtbar, welchen Genotyp bringt er zum leuchten?

Die kanadische branding-Kritikerin Naomi Klein (Autorin von “No Logo!”) schreibt, während klassisches Marketing in der Assoziation von z.B. Schönheit und einem bestimmten Produkt bestanden habe, hätten in den späten Achtzigern viele Konzerne erklärt, “Produktion sei nur ein zufälliger Bestandteil ihrer Betätigungen.”[5] Sie würden nicht primär Dinge, sondern “Ideen und Images für ihre Marken” produzieren; ihre tatsächliche Arbeit bestünde in dem Aufbau ihrer Marken. Nike produziert seitdem keine Schuhe mehr, sondern “Sport”. Volkswagen geht mit der Produktion des Phaeton in der “Gläsernen Manufaktur” noch einen Schritt weiter. Volkswagen produziert nicht nur “Mobilität”, sondern will “mit der Gläsernen Manufaktur neue Werte definieren”. Produziert wird also eigentlich nicht der Phaeton, sondern “Faszination, die die Zeit überdauert”, die “Begegnung von Technologie und Kultur”, “Lebensqualität”, “Offenheit” und – vor allem: “Transparenz”.[6]

Laut Naomi Klein kann ein “markengesteuertes Unternehmen” seine Macht aber “nicht per se durch die Ansammlung von Werten” erreichen, sondern muss “seine Markenidee auf so viele kulturelle Oberflächen wie nur eben möglich projizieren”. VW-Sprecher Hans-Peter Blechinger betont, die öffentliche Montage im Zentrum einer Kulturstadt sei wesentlicher Bestandteil des VW-Konzeptes. “Die Manufaktur ist der Zwinger des kommenden Jahrhunderts”, kündigte der Münchner VW-Hausarchitekt Gunter Henn das Projekt an. Auf der Website der gläsernen Manufaktur wird eine “360° Dresdentour” angeboten, worunter ein sommerliches video-visuelles sich um sich selbst drehen im Angesicht der Semperoper, des Zwingers und des Großen Gartens zu verstehen ist.[7]

Wenn dies die frischen unverbrauchten Räume sind, von denen Naomi Klein spricht, in denen die Markenidee ausgebreitet werden soll, darf man gespannt sein, ob VW das Radeberger-Image aus der Semper-Oper herausgewaschen bekommt. Sicher ist jedenfalls, dass die Marke kulturellen Raum konsumieren muss, um zu verhindern, dass sie schrumpft. Solche Unternehmen sind als sich ständig ausbreitende Ballons vorstellbar, schreibt Klein. “Öffentlicher Raum, neue politische Ideen und avantgardistisches Image sind das Gas, mit dem er sich füllt”. Die oben gestellte Frage kann nun beantwortet werden: Es ist die Marke Volkswagen, die der Phaeton zum leuchten bringen soll.

[1] Ovid, Metamorphosen, Zürich/München 1989.

[2] DUDEN, Das Herkunftswörterbuch, Mannheim 2001, S. 279.

[3] Selbst der Bundeskanzler meinte bei der Eröffnung der Gläsernen Manufaktur, dass der Phaeton “nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern auch ein Stück Verheissung” ist.

[4] http://www.univie.ac.at/iffroec/museologie/Texte/Museum%20und%20Ironie.html

[5] http://www.brandeins.de/magazin/archiv/2001/ausgabe_05/schwerpunkt/artikel5.html

[6] alle Zitate: http://www.glaesernemanufaktur.de

[7] ebd.

in: Sinistra Nr. 2, Wahlkampfzeitung an der FU Berlin, Januar 2002, S. 5.

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