Die Mensch-Natur-Schnittstelle. Neuronale Vergemeinschaftung als Naturversprechen im Film Avatar.

Kröger, Fabian, Die Mensch-Natur-Schnittstelle. Neuronale Vergemeinschaftung als Naturversprechen im Film Avatar, in: Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 199, Mai 2010, S. 22 – 23.

Das Kino träumt den alten Traum vom Überschreiten der Körpergrenzen immer wieder neu. Um dem Körper entfliehen zu können, braucht es Ausgänge, Körperschnittstellen, die gleichzeitig das Eingangstor zu neuen Körperwelten darstellen. Die filmischen Phantasien kreisten bisher vor allem um Mensch-Maschine-Schnittstellen, die oft am Gehirn ansetzten: In Brainstorm (1983) sind es groteske Helme, in Strange Days (1995) Headsets, mit denen die Erlebnisse und Emotionen eines Menschen über die Hirnströme aufgezeichnet werden. Andere Personen können diese reproduzierbar gemachten Emotionen dann nacherleben. Dies waren immer dystopische Visionen, die in Katastrophen endeten. 

Heute haben wir die Katastrophe immer schon hinter uns. Nun träumt das Kino von utopischen neuronalen Vergemeinschaftungen, in denen Mensch und Natur im Einklang stehen. Es ist kein Zufall, dass der Film Avatar – Aufbruch nach Pandora von James Cameron parallel zur gescheiterten Klimakonferenz von Kopenhagen in die Kinos kam. Der französische Philosoph Michel Serres schrieb, man habe in Kopenhagen vergessen, die Erde einzuladen.[1]

Antiimperialismus aus Hollywood

Auf „die Natur“ zu hören, dies fordert auch Avatar. Der Film setzt in einer postapokalyptischen Situation ein: Im Jahr 2051 haben die Menschen die Erde durch fortwährenden Raubbau unbewohnbar gemacht und landen mit einer riesigen Militärmaschinerie auf einem dschungelbewachsenen Mond namens Pandora, wo sie ein seltenes Metall schürfen wollen. Dort, wo sie den begehrten Rohstoff vermuten, lebt jedoch das indigene Naturvolk der Na’vi. Sie bilden eine Art Gegenmodell zum Ressourcenkolonialismus des Menschen, da sie im Einklang mit der Natur leben. Dem Militär fehlt das notwendige Wissen, um die Na’vi unterwerfen zu können. Deshalb soll der Stamm unterwandert werden: Eine Wissenschaftlercrew hat mit Hilfe der Gentechnologie künstlich hergestellte Körper heranwachsen lassen, die den blauhäutigen Na’vi anatomisch gleichen. Über eine Schlafkapsel mit neuronaler Schnittstelle soll ein querschnittsgelähmter Marine seinen Geist in diesen Klon-Körper schlüpfen lassen und sich dann draußen in den Dschungel wagen. Sein Erstkörper bleibt auf der Militärbasis zurück.

Der neuronale Softwaretransfer

Es ist also verfehlt, wenn der Film den Titel Avatar trägt, denn es gibt hier kein First und Second Life. Der Körper wird verdoppelt, daraufhin stehen sich aber nicht echter und simulierter Körper gegenüber, sondern es existieren zwei Körper in derselben Realität. Die Avatare sind in die Wirklichkeit geholt worden, sie sind nicht mehr nur Erscheinungsformen einer virtuellen Computerspielwelt wie in David Cronenbergs Film Existenz oder der computergenerierten Welt von Matrix (beide 1999). Einer der Körperträume von Avatar lautet, aus einem imperfekten menschlichen Körper in den überlegenen Avatarkörper hinüberwechseln zu können. Damit nimmt der Film ein altes Motiv auf, das etwa in Frankensteins Rache (1958) bereits auftauchte. Damals war ein chirurgischer Transfer des gesamten Organs Gehirn in den neuen Körper notwendig. In Avatar findet nur noch ein neuronaler Softwaretransfer von einer Hard- beziehungsweise Wetware in die andere statt: Dazu fassen sich die Na’vi in einem simulierten Mega-Woodstock singend an den Händen und können dann mit Hilfe einer Baumgöttin in einem neuroschamanistischen Ritual den Geist des Menschen aus seinem menschlichen Körper befreien und dauerhaft in den Avatarkörper übertragen.

Das Shahaylu und die Spiegel-Neuronen

Damit dies überhaupt möglich wird, muss in Avatar eine neue Körpertechnologie die Bühne betreten. Die Na’vi verfügen über eine Mensch-Natur-Schnittstelle: An ihrem Hinterkopf befindet sich ein geflochtener Zopf, in dem rosafarbene Nervenfasern verborgen sind. Mit dieser Schnittstelle können sie sich an das Nervensystem anderer Lebewesen anzwirbeln, was Shahaylu (dt. Band) genannt wird. Die Überschreitung der Körpergrenzen dient der emotionalen Erweiterung, dem Einfühlen in einen anderen Körper. Neu ist zweitens, dass diese neuronale Schnittstelle als eine biologische inszeniert wird. Der Zopf scheint angeboren zu sein. Die Na’vi sind zwar Aliens, aber keine Cyborgs. Der Neuralzopf ist kein Ethernet-Kabel. Einerseits dienen die Nervenzöpfe als Gegenbild zum Naturverhältnis des Menschen, dessen Handeln allein auf Herrschaft abzielt. So wird suggeriert, die Na’vi hätten ihren Planeten nicht unterworfen, weil sie ihre Mitwelt fühlen können. Andererseits erlaubt ihnen diese physische Schnittstelle aber dennoch eine Beherrschung der Natur: Sie können die wildesten Tiere – wie den Flugdrachen Ikran – zähmen und ihrem Willen unterwerfen. Allerdings gibt es eine Rückkopplungsschleife: Die neuronale Verbindung mit ihren Reittieren geht so weit, dass sie auch den Schmerz des Tieres fühlen, wenn es verletzt wird. Diese Empathiesynchronisierung spielt auf Forschungsergebnisse der kognitiven Neurowissenschaften an, die von der Existenz sogenannter Mirror- oder Empathie-Neuronen ausgehen. Sie sorgen angeblich dafür, dass ein Mensch sich in die Erlebnisse eines anderen so einfühlen kann, als würde er sie selbst erleben: Die Spiegel-Neuronen feuern zum Beispiel, wenn eine Person berührt wird, aber auch, wenn diese Person sieht, wie jemand anderes berührt wird. Sie simulieren die Handlung der anderen Person in einer virtuellen Realität, behauptet der Neurologe Vilayanur Ramachandran.[2]

Neuronal aufgeladene Naturreligion

Avatar treibt das Shahaylu aber noch weiter – es ist das entscheidende Element in der Religion der Na’vi. Denn nicht nur Menschen und Tiere, auf Pandora sind auch die Wurzeln aller Bäume in einem neuronalen Netzwerk miteinander verbunden. Wie bei den „Synapsen zwischen Neuronen“ gebe es in diesem globalen Netzwerk „eine Art elektrochemischer Kommunikation“, erklärt die Wissenschaftlerin Grace Augustine (Sigourney Weaver) in einer Szene.[3] Dieses Wurzelnetzwerk ist identisch mit einem personalisierten globalen Bewusstsein, das von den Na’vi Eywa genannt und als Göttin verehrt wird. Sie steht im Zentrum der animistischen Naturreligion der Ureinwohner. Da der Glaube aus der somatischen Materialität neuronaler Verbindungen abgeleitet wird, kommt die Religion der Na’vi ohne Konstruktionen wie Schicksal oder Seele aus, auf die irdische Religionen angewiesen sind. Entscheidend ist nun, dass sich die Na’vi mit ihren Zöpfen in dieses Netz einklinken können. „Sie können Daten hoch- und runterladen – Erinnerungen“, erläutert Grace. Um sich mit ihren Ahnen zu verbinden, müssen sie sich an heilige Orte wie den leuchtenden Baum der Stimmen begeben. Vielleicht lässt sich dieses religiöse Glaubenssystem der Na’vi als ironische Persiflage auf den umfassenden Deutungsanspruch der Neurowissenschaften im 21. Jahrhundert lesen, der längst theologische Züge trägt. Die Konstruktion einer in Bäumen gespeicherten Erinnerung der Ahnen, aus der eine Religion abgeleitet wird, in deren Zentrum die Naturverbundenheit steht, bewegt sich andererseits nah an neurechter Naturromantik. Beispielsweise sah der Philosoph und Baudrillard-Übersetzer Gerd Bergfleth schon 1994 einen „Aufstand der Erde“ kommen. Er erwarte die Erlösung von einer „Religion der Erde, die sich aus mythischer Urerinnerung speist und den Menschen aufs neue mit der Erde verbindet“, liest man dort erstaunt.[4] Das ist genau das Programm von Avatar.

Technologisches Harmonieversprechen

Davon abweichend ist die religiöse Naturverbundenheit hier aber nicht metaphorisch-romantisch, sondern technologisch gedacht; als direkter, neuronaler Anschluss an ein imaginäres Kollektivgedächtnis. Die große Sehnsucht hinter dem Shahaylu besteht darin, eine universelle Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der wir uns ohne Missverständnisse mit Pflanzen und Tieren, Mitmenschen und Gott verständigen können. Diese Kommunikation kommt ohne sprachliche Übersetzung aus und ist nur noch auf die Übertragung von Signalen angewiesen. Im neuronalen Super-Code werden nicht nur die Grenzen zwischen Arten, Spezies und Generationen, sondern auch zwischen Mensch und Gott überbrückt. Wenn alles vom Hirn gesteuerte Biochemie ist, brauchen wir keine Sprache mehr, nur noch den Glauben. Der Neurozopf ist somit eine Schnittstelle zwischen Theologie und Technologie. In diesem Sinne ist Avatar eine religiös aufgeladene neuronale Kommunikationsutopie.


[1] Michel Serres: On a oublié d’inviter la Terre à la conférence sur le climat, Interview, in: Le Monde vom 21. Dezember 2009.

[2] V.S. Ramachandran: The neurons that shaped civilization, TED India, November 2009, in: www.ted.com/talks/vs_ramachandran_the_neurons_that_shaped_civilization

[3] James Cameron: AVATAR, Script, in: www.foxscreenings.com/media/pdf/JamesCameronAVATAR.pdf, S. 101.

[4] Gerd Bergfleth: Erde und Heimat, in: H. Schwilk, U. Schacht (Hg.), Die selbstbewußte Nation, „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Berlin 1994, S. 119.

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