Humboldt-Universität zu Berlin / Philosophische Fakultät III / Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften / Seminar für Ästhetik
Hausarbeit zum Proseminar 53 284: Was heißt Darstellen? / Dozent: Jan-Lueder Roehrs / Wintersemester 2000/2001
Popstar Doppelhelix – Die visuelle Konstruktion des Genoms im Schnittfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit
Autor: Fabian Kröger
Das eigentliche Mysterium der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.
(Oscar Wilde)
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Automobile DNA
2.1. Die Sichtbar- und Unsichtbarmachung von Innen-und Außenräumen
2.2. Die Umstülpung von Innen- und Außenräumen
2.3. Die Sakralisierung des Fahrzeugs über die Doppelhelix
2.4. Das Auto als programmierbare Molekülprojektion
2.4.1. Die Organifizierung des Automobils
2.4.2. Automobiler und menschlicher Körper verschmelzen im Cyborg
2.4.3. Das programmierbare Auto als Prototyp programmierbarer DNS
2.5. Das maßgeschneiderte Auto als Prototyp maßgeschneiderter DNS
3. Popstar Doppelhelix
3.1. Die DNA als cultural icon
3.2. Die Verwandlung der Doppelhelix vom Wissenschafts- zum Sozialwerkzeug
3.2.1. Von der Hypothese zur Tatsache – Ludwik Flecks Stufenmodell
3.2.2. Die DNA-Doppelhelix als universelles Visiotyp
3.3. Kritik an Pörksen: Wissenschaft als ästhetischer Prozess
4. Das Doppelhelix-Modell der DNA als Wissenschaftswerkzeug
4.1. Die Biowissenschaften beruhen auf der Sichtbarmachung von Unsichtbarem
4.2. Versuchsablauf: Der Weg über Bild und Modell zur Doppelhelix
4.3. Wahrheit als Schönheit
5. Ausblick: Wissenschaftskritik als Bildkritik
6. Resumee
Bibliographie
1. Einleitung
Eine der am häufigsten wiederholten „großen Erzählungen“ der Molekularbiologie lautet, 1953 hätten der amerikanische Biochemiker James Watson und der englische Physiker Francis Crick die Struktur der DNS (Desoxyribonukleinsäure) „entschlüsselt“. Sie hätten „entdeckt“, dass die Erbsubstanz aller Lebewesen in Form einer Doppelhelix aufgebaut sei. In den beiden „spiralig umeinander gewundenen DNS-Einzelsträngen“ dieser „Strickleiter“ seien die vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin aneinander gereiht. Sie bildeten „paarweise Brücken“ zwischen den Strängen. In dieser linearen Abfolge sei die „genetische Information“ enthalten, die als „Bauanleitung“ der Proteine diene.[1]
Die Metaphern der Entdeckung und der Entschlüsselung suggerieren hierbei, die Doppelhelix-Struktur sei aufgedeckt worden – sie sei also bereits vorhanden gewesen, bevor nach ihr gesucht wurde, sie sei nicht erfunden, sondern gefunden worden. Dass sich der Vorschlag, das menschliche Erbgut als Doppelhelix zu entwerfen, schon bald als „Entdeckung“ fest etablieren konnte, hängt eng mit der klaren, eleganten Grafik zusammen, die Watson und Crick am 25. April 1953 in der Fachzeitschrift Nature neben dem Text veröffentlichten.
Dieses erste öffentliche Bild der Doppelhelix zeigte keine vage Skizze, keinen Entwurf oder ein Modell, sondern eine feste stabile Leiter. Das Bild wurde als Abbild aufgefasst: „So sieht unser Erbgut aus“. Aus dem Blick gerät in dieser Erzählung der Prozess, in dem das biowissenschaftliche Objekt DNA zunächst als Doppelhelix konstruiert werden musste. Ästhetische Konventionen spielten dabei von Beginn an eine große Rolle. Schließlich stellten Watson und Crick eine Lösung des Darstellungsproblems vor.[2] In der vorliegenden Arbeit soll das Bild der Doppelhelix deshalb nicht als Abbildung, sondern als Darstellung begriffen werden: Es bildet nicht etwas ihm vorgängiges ab, sondern stellt etwas dar. Um diesem Verhältnis von Wissen und Darstellung näher zu kommen, soll neben der Rolle, die die Doppelhelix im biowissenschaftlichen Kontext spielt, auch ihre öffentliche Rolle untersucht werden. Die klare visuelle Form der Doppelhelix führte schließlich außerdem dazu, dass sie zu einem allgegenwärtigen öffentlichen Symbol für die Genforschung werden konnte. Die Figur entwickelte ein Eigenleben: Entworfen als Wissenschaftswerkzeug, fand sie den Weg aus dem Labor heraus in die Öffentlichkeit und machte dort Karriere wie kein anderes wissenschaftliches Modell zuvor. Sie wird ästhetisiert in der Werbung aufgegriffen und als soziale Metapher für das genommen, was den menschlichen Körper ausmacht. Beispielhaft lässt sich das an einer Werbeanzeige des Volkswagenkonzerns zeigen, in der knapp fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung des Nature-Aufsatzes mit einer Doppelhelix für ein Automobil geworben wird. Es sei so individuell wie die menschliche DNS, heißt es in der Werbeanzeige.
Lässt sich die ästhetische und semantische Wechselwirkung zwischen der Volkswagen-Anzeige von 2002 und dem Nature-Aufsatz von 1953 beschreiben? Welcher Prozeß fand zwischen der wissenschaftlichen und der öffentlichen Darstellung statt? Welche Beweggründe waren entscheidend, gerade diese visuelle Form zur Beschreibung der Struktur des Erbguts und später einer Luxuslimousine zu wählen? Für welche Bedeutungen steht die Helix im öffentlichen, für welche im wissenschaftlichen Bereich, welche Rolle spielt die Ästhetik dabei?
Um die Wanderung des visuellen Zeichens DNA-Doppelhelix zwischen Wissenschaftskontext und medialer Öffentlichkeit, zwischen Labor und populärer Kultur rekonstruieren zu können, bietet es sich zunächst an, beispielhaft ein öffentliches Doppelhelix-Bild aus der Gegenwart genauer zu betrachten. In dem Kapitel Automobile DNA soll deshalb zunächst die erwähnte Werbeanzeige von Volkswagen eingehend analysiert werden. Es soll herausgearbeitet werden, mit welchen visuellen und metaphorischen Mitteln in dieser Darstellung das Auto in Bezug zu welchen der DNA zugeschriebenen Eigenschaften gesetzt wird.
Im nächsten Schritt sollen im Kapitel Popstar Doppelhelix zwei Untersuchungen vorgestellt werden, die sich damit befassen, wie das wissenschaftliche Bild der Doppelhelix populär lesbar und zu einem öffentlichen Bild werden konnte. Dorothy Nelkin und Susan M. Lindee fragen danach, welche soziale Bedeutung dem menschlichen Erbgut in der Öffentlichkeit zugewiesen wird. Auch Uwe Pörksen fragt im Anschluss daran nach der sozialen Wirkung ausgewanderter wissenschaftlicher Werkzeuge in der Gesellschaft. Da sich die vorliegende Arbeit besonders für die Ebene der visuellen Darstellung interessiert, soll auf die Untersuchung Uwe Pörksens genauer eingegangen werden, in der es besonders um die ästhetischen Qualitäten der Helix geht. Im Laufe einer Kritik seiner Ausführungen soll nach der ästhetischen Bedeutung der Helix in der Wissenschaft gefragt werden:
Das folgende Kapitel ist dem Doppelhelix-Modell der DNA als Wissenschaftswerkzeug gewidmet. Ausgehend von der grundsätzlichen Frage, wie Wissens- und Darstellungsproduktion in den Biowissenschaften aufeinander zu beziehen sind, soll herausgearbeitet werden, dass beim Entwurf des Doppelhelixmodells zwar nicht soziale, aber ästhetische, also ebenfalls nicht-biologische Präferenzen eine enorme Rolle spielten. Hierbei soll gezeigt werden, dass einem biowissenschaftlichen Objekt wie der DNA nicht erst in der Gesellschaft irreführende Eigenschaften zugeschrieben werden. Subjektive Faktoren wie visuelle Konventionen und ästhetische Vorannahmen sind von Beginn an in die „objektive“ Sicht der Biowissenschaften eingeschrieben, sie strukturieren die Konstruktion des Wissenschaftsobjekts Doppelhelix wesentlich mit. Dafür soll vor allem auf die ästhetischen Vorannahmen eingegangen werden, die für diese biotechnisch produzierte Wahrheit entscheidend waren. In einem Ausblick soll zum Schluss herausgestrichen werden, welche Chancen eine Wissenschaftskritik als Bildkritik bietet. Zusammengefasst soll in dieser Arbeit also der Eindruck korrigiert werden, erst werde in den Naturwissenschaften kulturgeschichtlich unbefleckt ein Modell entworfen, das dann nachträglich – beispielsweise in der Werbung – öffentlich ästhetisiert wird. Gerade am Beispiel der Doppelhelix lässt sich zeigen, dass diese Trennung von Fakten und ihrer sozialen Be- und Verwertung nicht aufrechterhalten werden kann.
2. Automobile DNA
Im Sommer 2002 erscheint in verschiedenen deutschen Printmagazinen eine vierseitige Werbeanzeige des Volkswagen-Konzerns für die neue Oberklassenlimousine Phaeton.[3] Über die ersten beiden, nebeneinanderliegenden Seiten spannt sich eine computergenerierte Darstellung der DNS-Doppelhelix (siehe Abb. 1).

Abb 1.
Diese erste Darstellung lässt sich klar der Innenwelt zuordnen, während die zweite die Außenwelt zeigt: Auf den beiden folgenden Seiten ist eine Fotografie des Fahrerbereichs der Limousine abgebildet (siehe Abb. 2). Auch in den einzelnen Bildern können aber Innen- und Außenbereiche bzw. Vorder- und Hintergrund unterschieden werden, wie in der Graphik auf Seite 7 gezeigt und im folgenden erläutert wird.

Abb. 2
Um der symbolischen Funktion und der Bedeutung der Doppelhelix-Darstellung in dieser Anzeige näherzukommen, soll zunächst auf die Bildkomposition eingegangen werden, um anschließend den Werbetext in die Analyse einzubeziehen.
2.1. Die Sichtbar- und Unsichtbarmachung von Innen- und Außenräumen
Die Innenwelt des ersten Bildes zeigt als innere Innenwelt im Vordergrund die in einem an geronnenes Blut erinnernden Braunton schimmernde Doppelhelix, die von einem auratisch gleißenden weissen Licht umgeben wird, das so durch ihre Sprossen strahlt, dass diese an einer scheinbar dicht vor dem Betrachter liegenden Stelle auf der rechten Bildhälfte bis zur Unschärfe verschwimmen. Demgegenüber ist als äußere Innenwelt eine nicht weiter spezifizierte blaugrau getönte Umgebung im Hintergrund zu erkennen.
In dieser Gleichzeitigkeit von Sichtbar- und Unsichtbarmachung ist einerseits ein Verweis auf das sogenannte „Zentrale Dogma der Molekulargenetik“ zu sehen, demzufolge die DNA der zentrale Akteur im Erbgeschehen ist und die Zelle, in der sie sich befindet, keine weitere Rolle spielt.[4] Zudem überschneidet sich die Darstellung mit der Logik der Genmanipulation: Erst vor dem Hintergrund einer Unsichtbarmachung und Ausblendung der Zelle kann die Helix im Labor sichtbar gemacht, isoliert, aus dem Zell-Inneren nach außen gebracht und dann im Vordergrund bearbeitet werden.
2.2. Die Umstülpung von Innen- und Außenräumen
Die Außenwelt des zweiten Bildes zeigt als innere Außenwelt im Vordergrund das in Brauntönen gehaltene Fahrzeuginterieur. Die linke Bildhälfte wird von dem seitlich angeschnittenen Fahrersitz und einer Frontalansicht der Fahrertür dominiert. Auf der rechten Seite ist ein Teil des Handschuhfaches sowie die Mittelkonsole mit Bildschirm und darunter befindlichem Automatik-Schalthebel zu sehen. Die Fluchtlinien des Armaturenbretts laufen auf das an zentraler Stelle des Bildes angeordnete Lenkrad zu. Durch das Fenster auf der Fahrerseite hindurch befindet sich im Hintergrund die äußere Außenwelt: Einige hundert Meter vom Fahrzeug entfernt ist eine blaufarbene Brücke zu erkennen, deren Stahlträger die Helix-Form der DNS zitieren.[5] Farblich sind in dieser Fotografie die warmen Ockertöne des ledernen Interieurs dominierend. Das Braun der Helix auf den ersten beiden Seiten findet sich hier kräftiger in den Nussbaumelementen von Cockpit, Mittelkonsole, Lenkrad und Fahrertür wieder, während die kühlen Blautöne der außen zu erblickenden Brücke vorbehalten sind. Auch hier findet sich auf der rechten Seite das gleißende Licht, das durch die Streben der Brücke und die Windschutzscheibe hindurch in den Innenraum des Wagens strahlt.
Während die erste Darstellung einer molekularbiologischen und gentechnologischen Logik huldigt, verkoppelt die Bildsprache des zweiten Bildes diese Logik mit der des Automobils: Obwohl das Auto für eine Bewegung nach Außen steht, wird der unbewegliche Innenraum gezeigt. Obwohl die DNA sich im Inneren befindet, wird sie freigesetzt und Außen als Brücke dargestellt. Mit dieser gespiegelten Umstülpung von Innen- und Außenräumen illustriert die Anzeige sehr genau eine These der Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter. In einer Analyse verschiedener Auto-Werbeanzeigen schreibt sie, es lasse sich eine „Umkehrung der Richtung“ beobachten: „an die Stelle des Außenraumes der Welt tritt heute der Innenraum des Autos“.[6] Das Interieur wird also zur Landschaft – und analog dazu wird der Innenraum der Zelle zum Außenraum der Welt mobilisiert, die DNA zur Brücke geschmiedet. Während das immobile Selbst sich im Stau verliert, wird seine automobil gemachte DNA im Labor gewonnen und vervielfältigt. Treusch-Dieter schreibt, heute werde „zugunsten einer immobilen Verräumlichung“ auf die automobile Verzeitlichung verzichtet. In den Werbeanzeigen der Automobilindustrie werde „das Auto in den genetischen Code des Selbst“ hineinmanipuliert, „als sei er die Steuerung, die das Steuer des Auto übernimmt.“[7] Diese räumliche Dialektik lässt sich an der Anzeige gut nachvollziehen. Schließlich taucht der Fahrer als steuerndes Subjekt in der Anzeige nicht mehr auf – als hätte der in der Doppelhelix verkörperte genetische Code im fahrerlosen Phaeton seinen Platz eingenommen.
2.3. Die Sakralisierung des Fahrzeugs über die Doppelhelix
Neben dieser ikonografischen Umsetzung molekularbiologischer und automobiler Raum- und Blickverhältnisse lassen sich in der Anzeige religiöse Elemente finden. Für Uwe Böhm und Gerd Buschmann zeichnet sich Religion unter anderem durch eine das gesamte Leben „umfassende Gesamtdeutung“ aus, „die auf eine zentrale transzendente Macht verweist“. Sie weisen darauf hin, dass Religiöses in der Werbung „weniger über traditionelle religiöse Begriffe ins Spiel (kommt), als vielmehr über die Form der Präsentation und die damit verbundene Teilhabe am Überirdischen. Die religiöse Inszenierung verheißt die Offenbarung des ganz anderen und das Gefühl des Auserwähltseins (Sixtinische Kapelle). Das beworbene Produkt wird überhöht und mit dem Schein des Heiligen versehen, indem es remythisiert wird.“[8] In der Anzeige fungiert die Doppelhelix als die zentrale Macht, der das automobile „Gesamtkonzept“ des Phaeton nachgebildet sein soll. Der inszenatorische Einsatz des Lichts unterstreicht sowohl den sakralen Charakter der Helix als auch des Fahrzeugs: Auf den ersten beiden Seiten ist es ein numinos-diffuses, aber blendendes Licht, das durch die Sprossen der Helix scheint, auf den letzten beiden Seiten ist es das Sonnenlicht, das wie bei einem Kirchenfenster den Innenraum durch die Verstrebung der Brücke hindurch erleuchtet. Die Geste der Anbetung spricht zum dritten aus der Haltung des Fotografen, der den Innenraum des Fahrzeugs kniend aufgenommen haben muss. Diese Aufnahmeperspektive gibt unverkennbar eine Haltung wieder, die Günther Anders als „prometheische Scham“ bezeichnet hat: Die menschliche Scham vor der Vollkommenheit der von ihm geschaffenen Artefakte.[9]
2.4. Das Auto als programmierbare Molekülprojektion
Nach dieser Begutachtung der Bildsprache soll nun genauer auf den Werbetext eingegangen werden. Über der ersten Abbildung findet sich ein Versprechen: „Ein Fahrzeug, das weiss, dass sie unverwechselbar sind. Das weiss, welche Position ihr Sitz haben muss. Wie ihr Gurt, ihre Spiegel und ihre Lenksäule eingestellt sein müssen. Das weiss, welche Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit sie mögen. (…) Ein automobiles Gesamtkozept, so einzigartig wie ihre DNS.“ Und auf der linken Hälfte der zweiten Seite steht über der Fotografie die Frage: „Der Phaeton. Ist das nur ein Automobil?“ Auf der rechten Hälfte ist das VW-Markenlogo abgebildet.
Die Botschaft der Anzeige ist für den Betrachter leicht rezipierbar: Hier wird ein Fahrzeug analog zur menschlichen DNS gesetzt. So wie die DNS den menschlichen Körper zu bestimmen scheint, weiss dieses Auto scheinbar, wie es seine automobilen Körperteile auf den Menschen einzustellen hat.[10] Diese Übertragung menschlicher Eigenschaften auf nicht-menschliche Objekte wird Anthropomorphismus genannt.[11] Der Phaeton erscheint hier nicht mehr als technisches Artefakt, sondern als intelligenter Partner, dem die menschliche Fähigkeit, etwas zu wissen, zugesprochen wird. Ernst Kapp prägte gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff der „Organprojektion“. Darunter verstand er das menschliche Bestreben, Werkzeuge und Maschinen zu konstruieren, die den Gliedern und Organen des menschlichen Körpers nachgebildet sind. Im Hammer sah er zum Beispiel eine Nachbildung der Faust, im Fotoapparat ließe sich ein optimiertes Auge erkennen.[12] In der Werbeanzeige wird aber nicht behauptet, der Phaeton sei einem Organ, sondern dem Molekül DNA nachgebildet. Schließlich werden Organleiden gemäß dem molekularisierten Körperbegriff des biotechnischen Zeitalters heute auf der Ebene von DNA-Fehlern beschrieben. In diesem Sinne kann der Phaeton als anthropomorphe Molekülprojektion bezeichnet werden. Sie überschreitet den Charakter einer Nachbildung des menschlichen Körpers in drei Punkten:
2.4.1. Die Organifizierung des Automobils
Erstens gleicht die Molekülprojektion Phaeton einer klassischen Organprojektion zwar darin, dass sie im Gegensatz zum organischen menschlichen Körper fast durchgehend aus Metall oder anderen anorganischen Stoffen gefertigt ist. Die Zuschreibung, etwas zu wissen, unterscheidet den Phaeton jedoch von Ernst Kapps Hammer: Mit der Übertragung der Informationsmetapher in die Biologie wurde es möglich, Körperprozesse analog zur transklassischen, programmierbaren Maschine – dem Computer – in Kategorien der Speicherung, Übertragung und Löschung zu denken. Seitdem spricht die moderne Biologie davon, dass in der DNS Information gespeichert sei. Die Anzeige geht aber noch einen Schritt weiter und behauptet, dass es sich bei dieser DNA-Information um „Wissen“ handle. Diese Fähigkeit ist jedoch Menschen vorbehalten, da sie mit Erkenntnis und Bewußtsein verknüpft ist, die Maschinen nicht besitzen. Deshalb hat die Rückübertragung dieses zugespitzten Modelles „wissender“ DNA auf ein technisches Artefakt wie das Auto den Effekt seiner Organifizierung: Es denkt mit. Physik wird zu Biologie. Umgekehrt lässt sich dieser Vorgang an der stählernen Brücke auf der zweiten Seite der Anzeige beobachten, die nichts mehr wissen kann. Hier ist die eigentlich organische DNA zur anorganischen Form erstarrt. Biologie wird zu Physik.[13]
2.4.2. Automobiler und menschlicher Körper verschmelzen im Cyborg
Wenn das Fahrzeug weiss, „wie ihr Gurt, ihre Spiegel und ihre Lenksäule eingestellt sein müssen“, dann verschwimmt zweitens die Trennung zwischen Fahrer und Fahrzeug, er wird zum Teil von ihm. Automobiler und menschlicher Körper verschmelzen cyborgähnlich: Sind „ihr Sitz, Ihre Spiegel, Ihre Lenksäule“ noch Fahrzeug – oder schon Körperteile? Obwohl der Sitz de facto zum Fahrzeug gehört, wird er symbolisch als Körperteil des Fahrers zum Klingen gebracht, wenn „das Fahrzeug“ weiss, welche Position „ihr Sitz“ haben muss. Damit wird ein großes Versprechen gegeben: Begreift man die DNA als „Prothese par excellence“, kann der Prothesengott Mensch nun mit ihr verschmelzen, da er mit dem Phaeton eine automobile Prothese entwickelt hat, die der automobil gemachten DNA gleicht.
2.4.3. Das programmierbare Auto als Prototyp programmierbarer DNS
Und auch in einem dritten Punkt überschreitet diese Molekül- die Organprojektion: Wenn das Fahrzeug „weiss“, „wie Ihr Gurt eingestellt werden soll“, so wie „ihre DNS“ angeblich „weiss“, wie sie den menschlichen Körper zu formen hat, stellt sich die Frage, wie es denn dazu kam, dass diese automobile DNS etwas weiss. Dies ist nur möglich, da diese Auto-DNS programmierbar geworden ist. Mit diesem „wissenden“ Fahrzeug wird dabei also eigentlich der Bordcomputer angesprochen, in dem „Information“ gespeichert wurde. Ausgeblendet wird, dass es hier der Fahrer ist, der die DNS programmiert. Deshalb braucht der Kunde vor dem Phaeton-Erbgut auch keine Angst zu haben, denn es ist keine mit Krankheiten behaftete DNS, die ihm hier angeboten wird, sondern reines, da durch den Fahrer selbst programmierbares Erbgut. Er stellt „seinen“ Sitz schließlich selbst ein. So wie die programmierte DNS die wahre Selbstbeweglichkeit/Automobilität des Menschen ermöglichen soll, verspricht der Phaeton, ihn aus seinem Status als Mängelwesen zu erlösen. Im Phaeton deutet sich also die Möglichkeit optimierbarer DNA an.
Für diese These spricht außerdem, dass nur Dinge angesprochen werden, die sich im Innenraum des Fahrzeugs befinden und unmittelbar vom Fahrer gesehen und berührt werden: Gurt, Sitz, Spiegel, Lenksäule. Die DNS ist eben bereits aus dem automobilen bzw. Zell-Inneren nach Außen gebracht worden, um als Brücke zum programmierten Innenraum zu fungieren, wie es auf der dritten und vierten Seite der Anzeige visualisiert ist. Die dort abgebildeten Tasten im Innenraum des Phaetons stehen für die Schnittstelle zur manipulierbar gemachten DNS. Dieses Keyboard bildet den Schlüssel zur gentechnologischen Rückkehr in den als veräußerlichte Innenwelt unter Kontrolle gebrachten mütterlichen Uterus. Damit nimmt die Anzeige die auf die Genforschung projizierten Erwartungen vorweg. Und es zeigt sich deutlich, dass das Auto „ein Spiegel der Körperträume des Menschen“ ist, wie es Käte Meyer Drawe formuliert. „Es symbolisiert gleichsam eine zweite Natur, in der die Makel der ersten ausgeglichen werden.“ [14] Zugespitzt hieße das: „Vielleicht braucht der Mensch eines Tages ja kein Auto mehr, weil er selbst mit Hilfe seiner Gen-und Nanotechnologien eines geworden ist.“[15] Genau dies transportiert die Anzeige: Solange die DNS noch nicht vollständig programmierbar ist, kann im Phaeton ein Vorgeschmack auf diese luxuriöse Zukunft genossen werden. Der Phaeton ist der Prototyp programmierbarer DNS, der Innenraum ist ein Labor mit Super-Interface, der Fahrer der Genforscher. Damit ist die Anzeige eine grandiose Werbung für die Genomforschung. Der Traum vom perfekten Designer-Körper wird im Design des Autos vorweggenommen.
2.5. Das maßgeschneiderte Auto als Prototyp maßgeschneiderter DNS
Wieso wird nun gerade die DNS-Doppelhelix zur Analogiebildung mit dem Auto herangezogen? Mit der Anzeige versucht Volkswagen, an das Bedürfnis nach Einzigartigkeit zu appellieren, das durch Massenprodukte immer weniger befriedigt werden kann. Um die Exklusivität des Fahrzeugs herauszustellen, wird suggeriert, es handle sich um ein Unikat. Es soll maßgeschneidert wirken. Um diesen Effekt zu erzielen, dockt die Automobilindustrie an das Versprechen der Genomforschung an, maßgeschneiderte Medikamente zu produzieren. Und damit ist die Anzeige ein gutes Beispiel dafür, wie öffentliche und wissenschaftliche Sphäre bei der auf die Doppelhelix projizierten Bedeutung zusammenwirken. Da hier für ein Fahrzeug geworben wird, das nicht unter 100.000 Euro erhältlich ist, muss die behauptete Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit des Fahrzeuges auch auf den potentiellen Käufer bzw. auf eine soziale Differenz bezogen werden: Nur ein Angehöriger der gesellschaftlichen Elite kann es sich leisten, sich vom Massenprodukt zu lösen und maßgeschneiderte Autos bzw. DNS zu kaufen. Erinnert sei hier an die Aussage des US-amerikanischen Genforschers Lee Silver, in Zukunft werde es zwei Klassen von Menschen geben: Die Gen-Reichen, die es sich leisten können, das Erbgut ihrer Nachkommen nach ihren individuellen Wünschen zu manipulieren und die naturbelassenen Gen-Armen.[16] Der Phaeton ist kein Massenprodukt mehr, sondern ein Designer-Baby. Er bietet nicht so viel Komfort wie eine Gebärmutter, wie Sloterdijk sagen würde,[17] sondern vor dem Hintergrund der nach außen gelagerten DNS, also der Herausnahme der Lebensentstehung aus dem weiblichen Körper ist sein Innenraum als Reagenzglas zu begreifen, in dem die In Vitro Befruchtung stattfindet.
Für diese Arbeit ist die Anzeige von Bedeutung, da hier deutlich wird, wie wissenschaftliche und öffentliche Sphäre bei der Bedeutungsproduktion ineinandergreifen. Die Anzeige funktioniert nur vor dem Hintergrund folgender Vorannahmen:
Erstens müssen die RezipientInnen über ein spezifisches ästhetisches Wissen verfügen, mit dem sie die Darstellung sofort als Doppelhelix-Modell der DNA identifizieren können. Da mit dieser Anzeige die breite Öffentlichkeit angesprochen wird, liefert dies umgekehrt ein Indiz dafür, dass die DNA von einem biowissenschaftlichen Modell zu einer Ikone der populären Kultur geworden ist. Ihre wie eine unerschütterliche Tatsache wirkende visuelle Gestalt ist aber gleichzeitig mit einem scheinbar eindeutigen sozialen Gehalt versehen: Die Anzeige setzt also zweitens ein spezifisches soziales Wissen voraus, nach dem die DNS für die menschliche Individualität verantwortlich gemacht werden muss. Zusammengefasst scheint hier also erstens eindeutig geklärt zu sein, in welcher visuellen Gestalt die DNS vorliegt und zweitens, welche Eigenschaften sie besitzt, was sie also zu „tun“ vermag.
An diese Analyse der Werbeanzeige von Volkswagen schließen sich nun folgende Fragen an: Wie unterscheidet sich die Verwendung der Doppelhelix-Darstellung in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft? Kann die in der Sphäre der Öffentlichkeit, der Kultur, der Medien hervorgebrachte soziale Bedeutung und ästhetische Form der Doppelhelix ganz klar von ihrer Verwendung im Wissenschaftskontext getrennt werden? Oder wird die soziale Bedeutung, die der DNA zugeschrieben wird, arbeitsteilig zwischen biowissenschaftlicher und populärer Kultur generiert und die ästhetischen Qualitäten der Helix in der Anzeige sind auch in der Wissenschaft zu finden?
Um diese Fragen zu klären, soll im folgenden diese Spur der DNA-Doppelhelix in der populären Kultur aufgenommen werden, um ihren Weg zurückzuverfolgen bis hin zu dem wissenschaftlichen Laborkontext, dem sie entsprungen ist. Zunächst sollen zwei Untersuchungen vorgestellt werden, die sich damit befassen, wie das wissenschaftliche Bild der Doppelhelix populär lesbar und zu einem öffentlichen Bild werden konnte. Beide fragen danach, welche soziale Bedeutung dem menschlichen Erbgut in der Öffentlichkeit zugewiesen wird. Die Aufmerksamkeit soll besonders der Frage gelten, ob die Doppelhelix denn nur im medialen Kontext auratisch überhöht und mit einer nicht-biologischen, sozialen Bedeutung versehen wird, ob es also zutrifft, dass sie in der Sphäre der Wissenschaft einzig und allein die Rolle eines wissenschaftlichen Werkzeuges einnimmt.
3. Popstar Doppelhelix
3.1. Die DNA als cultural icon
Dorothy Nelkin und M. Susan Lindee analysieren in ihrem häufig zitierten Buch „The DNA Mystique“, wie die DNA in der populären Kultur zu „einem kulturellen Ikon, einem Symbol, beinahe einer magischen Kraft“ werden konnte.[18] Obwohl die DNA eigentlich „ein rein biologischer Gegenstand“ sei, habe sie „eine kulturelle Bedeutung angenommen, die weit über den wissenschaftlichen Begriff hinausreicht“ und die herrschenden Verhältnisse widerspiegele, schreibt Nelkin.[19] In zahlreichen US-amerikanischen Zeitungen, Fernsehsendungen, Werbeanzeigen, Diskussionen, Seifenopern, Lebensratgebern und Postkarten werde das Genom mit einem biologischen Essentialismus verknüpft, der soziale Unterschiede naturalisiere und Persönlichkeit und Identität auf einen genetischen Begriff bringe. Immer häufiger würden die Gene herangezogen, um soziale Hierarchien zu legitimieren. Zudem werde die DNA mit einer sakralen Aura versehen und als unsterblicher, weil ewig weitervererbter Text dargestellt. Die DNA funktioniere in der populären Kultur äquivalent zur christlichen Seele.[20] Sie umfasse hierbei nicht nur die Vergangenheit, sondern verspreche auch eine Prognose der Zukunft. Zum einen sei in der DNA also die soziale Ordnung festgeschrieben, gleichzeitig erscheine sie aber als archimedischer Punkt, an dem eine bessere Welt herstellbar sei.
Die Stärke des Ansatzes von Nelkin/Lindee liegt darin, dass sie nicht behaupten, die skizzierte soziale Bedeutung werde nur medial hervorgebracht. Auch der Rolle der Biowissenschaften in diesem Prozess wird Aufmerksamkeit geschenkt:
„Die interessante Frage ist nicht der Kontrast zwischen wissenschaftlicher und populärer Kultur, sondern wie sie sich überschneiden, um die kulturelle Bedeutung des Gens zu formen. Einige der Vorstellungen, die wir erforscht haben, orientieren sich an wohl etablierten wissenschaftlichen Ideen, einige an Entdeckungen, die von Genetikern weiterhin infrage gestellt werden, während andere unabhängig von biologischer Forschung zu sein scheinen. Die genaue wissenschaftliche Legitimität jeder Vorstellung, wie auch immer, ist weniger wichtig als der kulturelle Gebrauch, der von ihr gemacht wird. Wie dienen wissenschaftliche Konzepte sozialen Ideologien und institutionellen Tagesordnungen? Warum gewinnen bestimmte Konzepte soziale Macht, so daß sie zum Brennpunkt bedeutsamer populärer und wissenschaftlicher Beachtung werden? Und welche Rolle spielen Wissenschaftler bei der Formung der Aneignung solcher Konzepte?“[21]
An der Volkswagen-Anzeige lässt sich diese These sehr gut nachvollziehen: Einerseits wird eine der „wohl etablierten wissenschaftlichen Ideen“ aufgegriffen, die von Genomforschern in der Öffentlichkeit als eines der Ergebnisse der Entzifferung des menschlichen Genoms genannt wurden: Die menschliche Individualität sei genetisch bedingt.[22] Darüber hinaus gehend wird die Doppelhelix allerdings sakralisiert und über die Analogisierung mit einem Luxusauto auf eine soziale Hierarchie bezogen.
Die beiden Autorinnen heben hervor, dass die weit über die rein wissenschaftlichen Zielsetzungen hinausgehende öffentlich-mediale Deutung der Forschungsergebnisse von den Biowissenschaften gefördert wird. Das „Gen als Metapher“ sei zum einen so anziehend geworden, weil die Wissenschaft immer neue Erkenntnisse über die Rolle der Gene hervorbringe. Das Versprechen, Erbkrankheiten genetisch erklären und behandeln zu können, ziehe indirekt die Erwartung nach sich, auch Kriminalität, Intelligenz und Sucht seien genetisch bedingt. Andererseits machten sich Wissenschaftler die Medien aber auch direkt zu nutze: So habe der Psychologe Thomas Bouchard, der an dem Zusammenhang von Intelligenzquotient und Erbanlagen forschte, seine Ergebnisse trotz heftiger Kritik von anderen Wissenschaftlern an die Presse weiter gegeben. Diese griff die Untersuchung begierig auf, blendete aus, dass es sich um eine Streitfrage unter Wissenschaftlern handelte und sprach eilfertig von „Beweisen für die Bedeutung der Gene“.[23]
Im Hinblick auf die in dieser Arbeit besonders interessierende visuelle Darstellung der DNA-Doppelhelix weisen Nelkin/Lindee lediglich darauf hin, dass auch in wissenschaftlichen Zeitschriften wie Science oder Nature die Doppelhelix überhöht und mystifiziert dargestellt werde. Zur Vermittlung ihrer Arbeit nutzten die Wissenschaftler selbst ästhetisierte Darstellungen.[24]
3.2. Die Verwandlung der Doppelhelix vom Wissenschafts- zum Sozialwerkzeug
Nelkin und Lindee definieren den Begriff „Gen“ zwar im Sinne der Doppelhelix – „a nuclear structure shaped like a twisted ladder“[25] – ihre Untersuchung fußt aber auf einem Bildbegriff, der die gesamte darstellerische Metaphorik des Genoms (images) umfasst. Es werden dabei also nicht nur visuelle Darstellungen (pictures), sondern auch sprachliche Metaphern berücksichtigt.
Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen untersucht im Anschluss an ihre Untersuchung genauer, wie sich der skizzierte Bedeutungswandel auf der Ebene der visuellen Zeichen gestaltet. Dabei konzentriert er sich auf die visuelle Darstellung des Erbgutes als Doppelhelix und analysiert, wie sie als der wissenschaftlichen Sphäre entsprungene Figur zu dem von Nelkin/Lindee geschilderten „kulturellen Icon“ werden konnte. Ähnlich wie sie vertritt er die These, die DNA-Doppelhelix habe einen „Funktionswechsel vom Wissenschaftswerkzeug zum Sozialwerkzeug“ durchgemacht, aus einer wissenschaftlichen sei eine soziale Bedeutung geworden.[26]
3.2.1. Von der Hypothese zur Tatsache – Ludwik Flecks Stufenmodell
Dieser Bedeutungswandel vollziehe sich in charakteristischen Stufen, die Ludwik Fleck in seinen Studien zur Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache beschrieben habe.[27] Am Anfang stehen demnach hypothetische Zeitschriftenartikel, die höchstens im Konjunktiv gehaltene fragende Denkentwürfe sind. Sie kommen ohne Veranschaulichung aus und sind nur für eine esoterische Wissenschaftlergemeinde gedacht. In einer zweiten Stufe gehe diese Denkbemühung in die Handbuchwissenschaft über und werde zur als „neutral“ angesehenen Tatsache, die von einer größeren Gemeinschaft als „objektiv“ und allgemeingültig angesehen werde. Erst hier komme die Ebene der Anschaulichkeit ins Spiel, schreibt Pörksen. Eine dritte Stufe markiert den Übergang der Tatsache in die Populärwissenschaft. Differente wissenschaftliche Positionen werden hier nicht mehr erwähnt. Die populäre Darstellung wissenschaftlicher Tatsachen sei durch Anschaulichkeit, Wertung, Vereinfachung und eine sehr bildliche Sprache gekennzeichnet. Pörksen hebt hervor, daß am Ende dieser Kette ein öffentliches Bild stehe. In der populären Bebilderung erst erlange eine Hypothese ihre „unumstößliche Tatsachennatur“.
Anschließend überprüft Pörksen, „ob es zu diesen drei Verwandlungstypen der Wissenschaft nicht Äquivalente in der Sprache und im Typus der Veranschaulichung“ gibt.[28] Als Beispiel wählt er Charles Darwins evolutionstheoretische Hypothese vom „Baum des Lebens“, die von Ernst Haeckel aufgegriffen wurde und zum „Stammbaum“ als objektiver öffentlicher Tatsache geronnen sei.[29] Flecks Einteilung lässt sich mit Pörksen also an der Karriere des Stammbaums zunächst „auf verblüffend genaue Weise“[30] verdeutlichen. Dies führt ihn zu folgender zentraler These: „Je sicherer die öffentliche Tatsache, umso mehr entschwindet ihr wissenschaftlicher zugunsten des sozialen Gehalts.“[31]
3.2.2. Die DNA-Doppelhelix als universelles Visiotyp
In diesem Verwandlungsprozess der Wissenschaft gebe es aber außerdem „charakteristische Stufen der Veranschaulichung“, in denen ein „typischer Bildstil“ mit einem „analogen Sprachstil“ einhergehe.[32] Diese Veranschaulichungsstufen verfolgt Pörksen im folgenden anhand des Übergangs der DNA-Doppelhelix „von einer Laboridee zur öffentlichen Tatsache“.[33] Es ließe sich an diesem Beispiel zeigen, dass Flecks Modell für die Gegenwart nur noch teilweise Gültigkeit beanspruchen könne. Der Stufenweg der Doppelhelix verlaufe zwar vergleichbar zum Stammbaum, aber mit „zwei bemerkenswerten Abweichungen“:
Die erste stehe gleich zu Anfang: In frühen, hypothetischen Skizzen habe James Watson die entscheidenden Annahmen für die Struktur der DNA formuliert. Im Gegensatz zu Flecks Einteilung steht hier also eine Veranschaulichung ganz am Anfang des Wissenschaftsprozesses. Mit dem anschließenden Bau eines Doppelhelix-Modells aus Draht sei die vorläufige Annahme bereits „zur stabilen Hypothese“ geworden. Und schon die erste Publikation in der Zeitschrift „Nature“ vom April 1953 habe „jenes stabile Modell“ enthalten, „das zugleich in den Lehrbüchern und in der Öffentlichkeit Platz finden konnte.“[34] Pörksen schreibt, in der visuellen Gestalt der DNA, die „zugleich Hypothese und definitives Modell“ sei, würden „die Grenzen zum Handbuch und zur Öffentlichkeit vom ersten Moment an überschritten“.[35] Aus dieser „von Anfang an lehrbuchhaft sicheren Darstellung der DNS“ habe dann eine anschauliche und sichere öffentliche Tatsache hervorgehen können, die sich ähnlich wie der Stammbaum von ihrem ursprünglichen wissenschaftlichen Gehalt entfernt habe.[36] Der Bedeutungswandel gehe aber noch in einem zweiten Schritt über Flecks Modell hinaus, diesmal in der Stufe der Populärwissenschaft: In öffentlichen Abbildungen sei die DNA-Doppelhelix mit „unerschütterlich positiver Ausstrahlung und Sicherheit“ umgeben, sie repräsentiere über die wissenschaftliche Wahrheit hinaus nun „auch die Wahrheit des Lebens“.[37] Die visuelle Gestalt der Doppelhelix suggeriere in der öffentlichen Sphäre irreführende Eigenschaften: Ihre treppenähnliche scheinbare Stabilität repräsentiere nun „eine farbenfrohe, stabile Himmelsleiter des Fortschritts“. Dass ihre „elegante geometrische Ästhetik“ auf einer Idealisierung beruhe, werde unkenntlich – vielmehr erwecke sie den Eindruck, „der Mechanismus sei vollständig durchschaut und leicht zu handhaben“. Außerdem verweise ihre „archaische Form“ unbegründeterweise auf uralte Bildervorräte, die „ikonografischen Traditionen“ an die sie andocke, versetze sie in einen „kultischen Rang“.[38] Das eigentlich biowissenschaftliche Zeichen verkörpere nun sozial aufgeladen einen Zugriff auf gesellschaftliche Verhältnisse. Für die Gegenwart müsse deshalb noch eine „letzte Transformationsstufe“ der Wissenschaft eingeführt werden: „die des globalen Visiotyps, das wir auch kulturelles Icon, Emblem, Symbol oder Idol nennen könnten.“
Pörksen schreibt, dieser an den öffentlichen Visualisierungen der Doppelhelix zu beobachtende Bedeutungswandel sei so extrem, dass er über Flecks drei „Aggregatzustände der Wissenschaft“ hinausweise. Sein Fazit ist, dass Ludwik Flecks Dreistufen Modell aus Zeitschriften- Handbuch- und Populärwissenschaft durch die „hypothetische Skizze am Anfang und das universelle Visiotyp oder Idol am Schluß“ ergänzt werden müsse.[39]
3.3. Kritik an Pörksen: Wissenschaft als ästhetischer Prozess
Bemerkenswert an Pörksens Untersuchung ist vor allem, dass er in ihr hervorhebt, in der visuellen Darstellung der DNA-Doppelhelix fielen Zeitschriftenaufsatz, Handbuchwissenschaft und Populärwissenschaft vom Gewißheitsstatus her gesehen von Anfang an zusammen.
Vor diesem Hintergrund erscheint Pörksens Ausgangsthese – „je sicherer die öffentliche Tatsache, umso entfernter der ursprüngliche wissenschaftliche Gehalt“ – in einem neuen Licht. Wenn die visuelle Gestalt der Doppelhelix von Anfang an eine sichere öffentliche Tatsache war, wird es schwierig, einen anfänglichen „wissenschaftlichen Gehalt“ zu definieren und ihn von einem differierenden öffentlichen zu trennen. Daher ist es sehr widersprüchlich, wenn Pörksen wiederholt beklagt, der „ursprüngliche wissenschaftliche Gehalt“ des Doppelhelix-Konzeptes werde „verfälscht“, wenn es sich in eine „öffentliche Tatsache“, einen „gesellschaftlichen Zugriff“ verwandelt habe, zu einem Sozialwerkzeug geworden sei.[40] Man müsse trennen, was „der Sacherschließung dient und was soziale Norm ist“[41], schließlich habe die Doppelhelix einen „hohen Erklärungswert“ im biowissenschaftlichen Kontext.[42]
Diese Gegenüberstellung von „wissenschaftlichem“ und „öffentlichem“ Gehalt, die die biologische Bedeutung auf sich beruhen lässt, kann wie eine Verbeugung vor den Biowissenschaften gelesen werden, deren Erkenntnisprozess nicht angezweifelt werden soll.
Zwar stimmt es, dass die Doppelhelix je nach Kontext zum Träger verschiedener Bedeutungen werden kann: Als Auswanderer aus dem Labor kann das wissenschaftliche Objekt zu einem Sozialwerkzeug werden, indem es über den ursprünglichen wissenschaftlichen Gehalt hinausgehende Bedeutungen annimmt. Die These von der nachträglichen Bedeutungsverschiebung in der Öffentlichkeit ist aber nur nachvollziehbar, wenn soziale Eigenschaften im Sinne von Nelkin und Lindee gemeint sind. In diesem Sinne können wissenschaftliche und öffentliche Bedeutung sicherlich unterschieden werden: Der Entwurf einer Basenpaarung hat erstmal noch nichts mit Eugenik zu tun.
Die von Pörksen genannten oben aufgeführten zweifelhaften Eigenschaften der Doppelhelix sind allerdings – im Gegensatz zu Nelkin und Lindees Darstellung – ästhetischer Natur, schließlich untersucht er ja auch die visuelle Darstellung des Erbguts. Was die visuelle Gestalt der Doppelhelix anbelangt, ist die Gegenüberstellung von wissenschaftlicher und öffentlicher Bedeutung aber nicht aufrechtzuerhalten. Es soll im folgenden gezeigt werden, dass nicht von einer „rein“ wissenschaftlichen Bedeutung in der Sphäre „der Wissenschaft“ ausgegangen werden kann, die dann erst nachträglich in „der Öffentlichkeit“ mythologisch überhöht, ästhetisiert oder „verzerrt“ wird. Wie Pörksen selbst schreibt, werden die ästhetischen Eigenschaften der Doppelhelix nicht erst in der öffentlichen Sphäre übergestülpt, sie waren schon im biowissenschaftlichen Kontext entscheidend in die Entstehung des Modells eingeschrieben. Auf der Ebene der Darstellung lässt sich nicht nur gut beobachten, wie ein wissenschaftliches Objekt eine kulturelle Bedeutung erhält, sondern auch, daß generell – sobald die Ebene der Darstellung, der Repräsentation betreten wurde – auch im Labor kulturelle, nicht-objektive Faktoren wirksam werden. Unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, war die Doppelhelix nie bloße Hypothese, sondern Tatsache von Anfang an. Zwar konstatiert Pörksen, das universelle Visiotyp der Doppelhelix habe „die Tendenz, an den Beginn des Wissenschaftsprozesses gerückt zu werden und gelenkt Karriere zu machen“.[43] Er macht aber kein Argument daraus. Wenn das Visiotyp mit seinen ästhetischen, irreführenden Eigenschaften schon am Beginn des Wissenschaftsprozesses zum Einsatz kommt, ist dies von großer Tragweite, da Flecks Modell damit komplett durchbrochen wird. Pörksen zieht diesen Schluss aber nicht, sondern versucht seine Beobachtung in Flecks Modell zu integrieren, indem er es am Beginn und am Ende um zwei Veranschaulichungsstufen ergänzt. Damit bleibt er auf halber Strecke stehen.
Demgegenüber soll im folgenden der Beobachtung nachgegangen werden, dass diese über die biologische Funktion hinausgehenden ästhetischen Bedeutungen schon in der Sphäre der Wissenschaft eine Rolle spielten, und gezeigt werden, wie biologische und ästhetische Bedeutung in der Doppelhelix von Anfang an ineinander verschlungen sind. Dazu soll Pörksens Vorschlag aufgegriffen werden, „von den Konzepten auszugehen, die sich eine bestimmte Gestalt des Zeichens suchen“, den er aber leider nicht weiter ausführt.[44]
4. Das Doppelhelix-Modell der DNA als Wissenschaftswerkzeug
4.1. Die Biowissenschaften beruhen auf der Sichtbarmachung von Unsichtbarem
Da die molekulare Ebene unsichtbar und es dem menschlichen Auge ohne technische Extensionen nicht möglich ist, etwas wahrzunehmen, das dann beispielsweise DNA genannt werden soll, beschäftigen sich die Biowissenschaften permanent mit der Sichtbarmachung ihrer Untersuchungsobjekte. Denn nur was sichtbar und damit „lesbar“ ist, kann auch bearbeitet werden. Der Versuchsablauf im biowissenschaftlichen Labor kann also allgemein als Verbildlichungsprozeß bezeichnet werden.
Die graphische Darstellung der dreidimensionalen Struktur der Desoxyribonukleinsäure, die sogenannte DNA-Doppelhelix, ist in einem Zweischritt von Bildaufnahmen und Modellbau entstanden. Bilder und Modelle haben gemeinsam, dass sie etwas darstellen. Sie verweisen auf etwas ihnen vorgängiges – hier die DNS-Struktur-, das in diesem Falle nicht selbst betrachtet werden kann. Kollek schreibt, heute werde von der Realität der Doppelhelix-Struktur ausgegangen, obwohl letztlich nicht bekannt sei, „in welcher Konformation das Erbmaterial in der Zelle tatsächlich vorliegt. Da sie sich der direkten Wahrnehmung entzieht, ist sie ohne physikalisch-technische Hilfsmittel und die dadurch gegebene apparative Zurichtung des Objekts nicht darstellbar.“[45]
In einer Rekonstruktion der einzelnen Schritte der Sichtbarmachung der Doppelhelix wird neben der kritischen Rolle der Apparate auch die Rolle der ästhetischen Vorstellungen der Forscher sehr deutlich. Im folgenden soll gezeigt werden, welche Rolle wissenschaftlichen Moden und ästhetische Normen in der Entstehungsgeschichte dieser biowissenschaftlichen Darstellung spielten.
4.2. Versuchsablauf: Der Weg über Bild und Modell zur Doppelhelix
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Labor mit einem Beobachter, einer zu untersuchenden Substanz und einem apparativen Medium ausgestattet ist, das den Kontakt zwischen beiden herzustellen vermag. Der Versuchsablauf beginnt zumeist damit, dass eine Hypothese aufgestellt wird.
Um herauszubekommen, ob eine Hypothese zutrifft, versucht der Beobachter im Versuchsablauf zweitens, mit bestimmten Verfahren und Apparaturen an der Substanz wahrnehmbare Zeichen zum Erscheinen zu bringen, die dann in ein Objekt umgewandelt werden. Dieses Objekt kann beispielsweise ein Bild sein. Als „Objekt eines Objekts“ beglaubigt das Bild im Nachhinein die Annahme, der Beobachter habe das Untersuchungsobjekt zum Sprechen gebracht. Dem Objekt wird aber erst im experimentellen Kontext seine Bedeutung verliehen. Dieses Verfahren bildet dabei nicht die „Wirklichkeit“ ab, es bringt ein mögliches Bild der Wirklichkeit unter einem bestimmten Blickwinkel hervor. Anders formuliert, ist ein Objekt immer Produkt des Werkzeuges, die Objekte und ihre Repräsentationen sind untrennbar ineinander verschlungen: Erst in der Repräsentation realisiert sich der Gegenstand. Erst in seiner Darstellung wird das Genom anrufbar, wird es zum wissenschaftlichen Objekt mit einer bestimmten Bedeutung gemacht. In einem weiteren Schritt werden diese instrumentell erzeugten Bilder dann „in Gestalten übersetzt, die an bekanntes, Vertrautes erinnern, und der Photographie angenähert.“[46]Da wir annehmen, wo etwas abzubilden ist, existiere auch ein Objekt, halten wir auch die Beweiskraft eines Bildes für umso größer, je realistischer es gestaltet ist.[47]
Aus dem Bild des Objekts kann nun – wiederum abhängig von der gewählten Methode – beispielsweise ein Modell entwickelt werden. Der Modellbau wiederum ist beeinflusst von ästhetischen Konventionen über die Schönheit der Form.
Diese Abfolge lässt sich an dem Entwurf der Doppelhelix gut nachvollziehen. Watson und Crick stellten im ersten Schritt die Hypothese auf, die DNS habe eine spiralförmige Struktur.[48] Ihr Ziel war es dabei, das DNS-Problem durch den Bau eines Drahtmodells zu lösen.[49] Hier kommt die Mode ins Spiel: Von großer Bedeutung für Watson und Crick war dabei die Orientierung an Linus Pauling, dessen Alphahelix-Protein-Modell durch den Bau von Molekülmodellen zustande gekommen war. Mit der Wissenschaftshistorikerin Lily E. Kay könnte man dies auch so formulieren, dass es einen Diskurs gab, der es Watson und Crick ermöglichte, die DNA-Struktur als Doppelhelix zu modellieren.[50] Im zweiten Schritt wurden Bilder von der Struktur der DNA erzeugt, um sie daraufhin zu untersuchen, ob sie der Hypothese nicht widersprechen.[51] In diesem Fall waren das Röntgenstrukturanalysen, die Rosalind Franklin durchgeführt hatte und die Watson und Crick sich angeeignet hatten.[52] Bei diesen Bildern handelt es sich um „die fototechnische Fixierung von Signalen die entstehen, wenn isolierte und in bestimmter Weise präparierte DNS Röntgenstrahlen ausgesetzt wird“, schreibt Regine Kollek.[53] Ihnen verdankten Watson und Crick die grundlegenden Hinweise für den Modellbau. Watson selbst betont die Wichtigkeit dieser Röntgenbeugungsaufnahmen. Über eine DNS-Aufnahme schreibt er: „Es war undenkbar, dieses Bild, das möglicherweise der Schlüssel zum Geheimnis des Lebens war, aus meinem Kopf zu verdrängen.“[54] An anderer Stelle bezeichnet er die Röntgenkristallographie sogar als den „Schlüssel zur Genetik“.[55] Bestimmte Röntgenbeugungsbilder seien „mit einer Helix vereinbar“ gewesen, schreibt Watson.[56] Hier zeigt sich bereits, dass die Darstellung der Struktur des Erbgutes als Doppelhelix nur als Konzept verstanden werden kann – wie Uwe Pörksen es ausdrückte. Da das Objekt nicht von seiner Darstellung getrennt betrachtet werden kann, ist es nicht beantwortbar, ob die DNS „wirklich“ als Doppelhelix vorliegt. Über die Idee, hypothetische Modelle zu bauen, schreibt Albrecht Fölsing in der Einleitung zu Watsons Buch „Die Doppelhelix“: „Der brillante Triumph hing an dem seidenen Faden, daß der „Stil“ der Forscher mit dem „Stil“ des Moleküls zusammenfiel.“[57] Es sei Glück gewesen, daß sich die DNS für den „Zugriff durch Modellbauen als günstig“ erwiesen habe. Auch diese Formulierung kann man sich auf der Zunge zergehen lassen. Passte hier die Methode zur Struktur oder passte sich die Struktur der Methode an?
4.3. Wahrheit als Schönheit
Wenn ein Problem einmal beantwortet ist, herrscht umfassende Zustimmung und es ist keine weitere Diskussion notwendig – so lautet eine der am weitesten verbreiteten Mythen über die Wissenschaft, schreibt Robert Root-Bernstein. Es werde so getan, als wenn subjektive Faktoren wie Ästhetik und visuelle Konventionen in der objektiven Sicht der Wissenschaft keine Rolle spielten. An der Entstehungsgeschichte der DNA-Struktur lasse sich aber zeigen, dass das Doppelhelix-Modell von Watson und Crick über Jahre hinweg wiederholt in Frage gestellt wurde. Heute sei es undenkbar, dass DNA nicht helixförmig aufgebaut sei, fast niemand denke auch nur daran, die Gültigkeit des Watson-Crick-Modells in Frage zu stellen. Es bestehe jedoch „eine sehr kleine aber reale Möglichkeit, dass Watson und Crick got part of the structure wrong“.[58] Er führt vor allem die biologischen Probleme an, die in dem Doppelhelix-Modell nicht gelöst worden seien[59] – auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Problem der angeblichen Spiralstruktur der DNA kann auf der Website von Ken Biegeleisen nachgelesen werden.[60] Robert Root-Bernstein weist aber auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Er schreibt, es ließe sich zeigen, dass ästhetische Vorannahmen eine wichtige Rolle bei der „Entdeckung“ der Struktur gespielt hätten, und dass diese die Entdecker in die Irre geführt haben könnten. Die visuellen Konventionen würden ungelöste Probleme der DNA-Replikation auffällig verdecken. Ähnlich wie die Kunst gebrauche die Wissenschaft Modelle, die ästhetische und visuelle Konventionen verkörperten – und diese könnten ein Problem erhellen, aber auch verdecken.[61] Die Idee der Basenpaarung und auch die Leitersprossen der Doppelhelix seien „sicherlich richtig“. Es sei der Doppelhelix-Part, der „ein wenig zweifelhaft“ sei. Hier kämen Ästhetik und visuelle Konventionen ins Spiel.
Root-Bernstein betont, die wissenschaftliche Forschung sei durch die sorgfältige Ausarbeitung von Möglichkeiten und der anschließenden Wahl zwischen ihnen anhand bestimmter Kriterien gekennzeichnet. Dabei werde dasjenige ausgewählt, welches den dominanten ästhetischen Kriterien entspreche. Root-Bernstein hebt hervor, dass Wissenschaftler „bei ihren Untersuchungen abhängig von ästhetischen Kriterien ihre Wahl treffen“. Die „Auswahl eines Problems, die gebrauchten Kriterien, mit denen es möglicherweise gelöst werden kann, Konzepte von Schönheit, Harmonie, Einfachheit, Symmetrie, Konsistenz, und das Profil und der Stil, mit denen die Lösung erreicht und vorgelegt wird, sind alle voll von ästhetischen Entscheidungen“.[62] „Watson und Crick waren beide von Anfang an stark geneigt, Helix-Modelle für die DNA zu favorisieren.“[63] Sie entschieden sich dafür, bevor sie irgendwelche Beweise dafür hatten. Warum auch immer sich Watson und Crick so für die Helix-Form begeistert hätten, so sei doch klar, dass „ihre ästhetische Wahrnehmung dieser Form eine kritische Rolle in ihrer Entscheidung für das Doppel-Helix-Modell spielte.“[64] Viele Wissenschaftler würden übersehen oder nicht verstehen, dass „Bilder Vereinbarungen sind. Die visuelle Form, in der eine Theorie präsentiert wird“, werde zum „Arbeitsmodell dieser Theorie, ob sie nun richtig ist oder nicht“.[65] Was durch visuelle Wiederholung vertraut werde, bilde die Basis für unsere ästhetische Wahrnehmung und Beurteilung des ganzen Feldes. Ihm geht es nicht darum, zu behaupten, die Doppelhelix sei nicht korrekt. Er will zeigen, „wie wichtig ästhetische Überlegungen – Schönheit, Hässlichkeit, Einfachheit, die Verbindung von Form und Funktion, und das Übersehen und Ignorieren von Problemen – für die Wissenschaft sind.“[66] Hier gäbe es keine Objektivität.
Diese These lässt sich vor allem an James Watsons eigenen Äußerungen in seinem Buch „Die Doppelhelix“ belegen, in dem er beschreibt, wie er gemeinsam mit Francis Crick 1953 die DNA als Doppelhelix entwarf. Auffallend ist, daß es vor allem die „Schönheit“ war, der die Konstruktion biologischer Bedeutung folgte. So schreibt Watson in seiner Vorbemerkung, für ihn selbst sei der „Glaube“ charakteristisch gewesen, „daß die Wahrheit, hat man sie erst einmal gefunden, ebenso einfach wie hübsch aussehen muß.“[67] Diese Kriterien der Einfachheit und Schönheit ziehen sich durch die gesamte Schilderung. In Bezug auf Linus Paulings Aufklärung der Struktur der Proteine macht Watson die Bemerkung, viele Wissenschaftler seien der Ansicht gewesen, „die Alphahelix sehe sehr hübsch aus“[68] – daher liege es nahe, dass das Modell korrekt sei. An anderer Stelle schreibt er über verschiedene in Frage kommende DNS-Molekülmodelle, es habe leider nicht so ausgesehen, „als wäre eine Gestalt hübscher als die übrigen.“[69] Auch hier bildet die Ästhetik einen Orientierungspunkt. Über die Möglichkeit, daß die Untereinheiten des Tabakmosaikvirus in einer Helix vorliegen, schreibt Watson: „Die Idee war so einfach, daß sie richtig sein mußte.“[70] Er berichtet schließlich, nach dem gelungenen Entwurf der DNA als Doppelhelix „versicherten (wir) uns gegenseitig, daß eine so hübsche Struktur einfach existieren mußte.“[71] Auch seine (angeblich) anfangs skeptische Kollegin Rosalind Franklin habe gleich erkannt, „wie reizvoll diese komplementären Basenpaare waren, und fand sich damit ab, daß die Struktur zu hübsch war, um nicht richtig zu sein.“[72] Sein Kollege Francis Crick schreibt, oft werde „die wahre Schönheit der Doppelhelix“ übersehen. Es sei ein Molekül mit „Stil“.[73]
Wie eng Bild und Modell aufeinander bezogen sind, zeigt sich auch in einer Anekdote, die Ernst-Peter Fischer erzählt: Er weist darauf hin, dass Watson und Crick zunächst Schwierigkeiten hatten, das Modell umzusetzen, obwohl sie alle Moleküle richtig dargestellt hätten. Daher habe Crick seine Frau Odile, eine Malerin, gebeten, die Doppelhelix nach ästhetischen Gesichtspunkten zu malen. „Diese Künstlerin hat gar nicht korrekt nach den damals vorliegenden Daten gezeichnet, sondern nach ihrem ästhetischen Empfinden.“ Dabei sei dann das ursprüngliche Modell der Doppelhelix in seiner schönen und symmetrischen Gestalt entstanden, das in der ersten Veröffentlichung 1953 in der Zeitschrift „Nature“ abgebildet wurde. Fischer weist darauf hin, dass der Erfolg des Watson/Crick-Modells eng damit zusammen hänge, dass sie von Anfang an dieses klare Bild mitlieferten.[74]
Festzuhalten bleibt, dass die naturwissenschaftliche Wahrheitssuche sich hier daran orientierte, ob das Objekt einfach, schön und hübsch ist. Entscheidend sind ästhetische Kriterien. Es zeigt sich, dass nicht nur das genaue Messen und Berechnen zum wissenschaftlichen Ergebnis führt, sondern auch ästhetische Vorannahmen. Was zählt, ist die Schönheit.[75] Die Biowissenschaften können also als ästhetisch orientierte Wissenschaften bezeichnet werden, die weniger auf exakten Beschreibungen, als auf einem Sinn fürs Schöne basieren.
5. Ausblick: Wissenschaftskritik als Bildkritik
Der derzeitige Diskurs um die Grenzziehungen im Bereich der Biowissenschaften und der Gentechnologie ist von einer unausgesprochenen Arbeitsteilung geprägt, nach der die Naturwissenschaften objektive Fakten hervorbringen und die Sozialwissenschaften allein die möglichen Anwendungen reflektieren. Dies lässt sich beispielsweise an der Bildpolitik ablesen, die in gentechnologiekritischen Publikationen verfolgt wird: Allerorten wird die DNA-Doppelhelix unkommentiert abgebildet, ohne ihren Modellcharakter, ihren Status als Simulation kenntlich zu machen. Die Biowissenschaften umgeben sich offenbar erfolgreich mit dem Image, naturwissenschaftliche Objektivität und Rationalität in Reinform zu verkörpern. Die Doppelhelix erscheint als objektive Darstellung wissenschaftlicher Fakten: „So sieht unser Erbgut aus“. Dies ist Ausdruck einer Kritik, die sich nur gegen bestimmte Anwendungen der Gentechnologie wendet, die Konstruktion biowissenschaftlicher Objekte jedoch nicht hinterfragt. Die DNA-Doppelhelix gehört zu diesen nicht hinterfragten Leitikonen, die kritische wie affirmative Diskurse einen. Anhand der visuellen und metaphorischen Darstellungen des Genoms kann diese Konstruktion genauer befragt werden.
Gerade in der biotechnologischen Forschung stellt sich Wissen sehr stark über Bilder her. Deshalb erzählen diese Bilder umgekehrt sehr viel über die Wissensform der modernen Biologie. Will man dieses Wissen kritisieren, könnte das also über eine Bildkritik laufen. Denn entscheidend ist ja, dass diesen technisch erzeugten Bildern eine bestimmte Beweiskraft zugesprochen wird. David Gugerli schreibt, mit Hans Blumenberg könne Sichtbarkeit als „ein von unterschiedlichen technischen Instrumenten (oder von „Armaturen der Sinne“) je erzeugter Möglichkeitsraum“ begriffen werden, „welcher von kulturellen Prägungen des Sehens, von Standpunkten der Beobachter, von historisch kontextualisierbaren deiktischen Gesten sowie von der gesellschaftlich determinierten Objektivierbarkeit ihrer Gegenstände bestimmt wird.“ Als „brisant“ bezeichnet er den Wahrheitsanspruch, der mit Sichtbarkeit verknüpft wird, besonders wenn diese Sichtbarkeit an „gesellschaftlich relevante Entscheidungsprozesse, Machtgefälle und Organisationsprinzipien“ geknüpft werde. Visualisierungen funktionierten als „Produzenten von Selbstverständlichkeiten und verdecken ihren eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungsreichtum.“[76]
Einer Bildkritik kann es also nicht um vereinfachende Repräsentationstheorien gehen, die das Bild als Abbild, Kopie oder im Modus der Ähnlichkeit beschreiben. Nicht um die Anfachung eines Bildersturmes geht es, der wohlmöglich noch mit einer behaupteten Unschuld der Sprache gestützt wird, sondern um Repräsentationskritik. Was sind das für Darstellungen, die uns eine Vorstellung von der Beschaffenheit des Erbguts erlauben sollen? Wie sind sie zustande gekommen? Welchen Vorannahmen unterliegt die biowissenschaftliche Bildproduktion? Welche ästhetischen Normen fließen in sie ein? Es müsste gezeigt werden, wie die Naturwissenschaften die Objekte ihrer Betrachtung produzieren und welche Rolle Darstellungen dabei spielen. Auf der Ebene der Darstellung kann gezeigt werden, dass nicht getrennt werden kann zwischen dem Genom als Naturstoff, der „an sich“ eine bestimmte Bedeutung oder Funktion hat, und seiner anschließenden Darstellung in einem wissenschaftlichen Objekt wie der Doppelhelix. „Natur“ existiert demnach nur als Kulturprodukt.
6. Resumee
Zu Beginn wurde als Ziel der Arbeit formuliert, die Wechselwirkung zwischen der Volkswagen-Anzeige von 2002 und dem Nature-Aufsatz von 1953 zu untersuchen. Dabei sollte die eine Darstellung als Beispiel für eine öffentliche Indienstnahme der Visualisierung der DNA, die andere Darstellung als Urbild der Doppelhelix aus dem Kontext der Biowissenschaften fungieren. Zum einen sollte untersucht werden, was die klare visuelle Form der Doppelhelix dazu beitrug, dass sie zu einem allgegenwärtigen öffentlichen Symbol für die Genforschung werden konnte, zum anderen sollte der ästhetische Prozess nachgezeichnet werden, in dem das biowissenschaftliche Objekt DNA zunächst als Doppelhelix konstruiert werden musste. Es galt also, das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit am Beispiel der DNA-Doppelhelix zu bestimmen: Wie unterscheidet sich die Verwendung der Doppelhelix-Darstellung in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft? Welche ästhetischen Konventionen und welche sozialen oder biologischen Bedeutungen sind in den beiden Sphären mit dem Doppelhelix-Modell verknüpft, wie wirken diese Sphären bei der Bedeutungsproduktion zusammen?
In einem ersten Schritt wurde die symbolische Funktion und die Bedeutung der Doppelhelix-Darstellung in einer Werbeanzeige von Volkswagen analysiert. Mit welchen visuellen und metaphorischen Mitteln wurde das Auto in Bezug zu welchen der DNA zugeschriebenen Eigenschaften gesetzt? Eine Analyse der Bildsprache zeigte, dass die gleichzeitige Sichtbarmachung der inneren Innenwelt der DNA und der Unsichtbarmachung der äußeren Innenwelt der Zellumgebung auf der ersten Seite der Anzeige analog zu molekularbiologischen Dogmen und Technologien funktioniert. In der zweiten Darstellung wird diese Logik mit der des Automobils verknüpft: Innen- und Außenräume werden gespiegelt umgestülpt, indem die innere Innenwelt in der äußeren Aussenwelt sichtbar gemacht wird: Die DNA ist hier wahrhaft automobil, also selbstbeweglich geworden. Was dies für das Fahrzeug bedeutet, unterstreicht die Farbgebung: Das Fahrzeuginnere ist bräunlich gefärbt, wie die nach außen gebrachte Helix auf den ersten Seiten. Das Fahrzeug wird also analog zur menschlichen DNS gesetzt. Genauer: Das zur Außenwelt gehörende Fahrzeug gleicht in seinem Inneren der zur Innenwelt gehörenden, aber nach Außen gebrachten DNA. Es soll eine Grenzüberschreitung repräsentieren. Zwischen den Doppelseiten der Anzeige lässt sich also eine Zuspitzung der Aussage feststellen. Die DNA überschreitet nicht nur die Grenze vom Zellinneren zum Zelläußeren, sondern auch die Grenze zwischen den beiden Bildern, also zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Desweiteren wurde gezeigt, wie Lichtverhältnisse und Aufnahmeperspektive in der Anzeige zu einer Sakralisierung des Fahrzeuges eingesetzt werden. Anhand des Werbetextes liess sich das Fahrzeug im folgenden als anthropomorphe Molekülprojektion einordnen, das sich erstens durch eine Organifizierung, zweitens durch die Suggestion einer Verschmelzbarkeit mit dem menschlichen Körper, drittens durch seine Programmierbarkeit von der klassischen Organprojektion unterscheidet. Anschließend wurde schließlich herausgestellt, weshalb VW ein visuelles Zeichen aus dem Kontext der Biowissenschaften verwendet, um die Qualität eines Produktes zu markieren: Das Versprechen der Genomforschung, maßgeschneiderte Medikamente zu produzieren, wird aufgegriffen und auf das angeblich maßgeschneiderte Fahrzeug übertragen. An der Anzeige wurde also bereits in Umrissen deutlich, wie wissenschaftliche und öffentliche Sphäre bei der Bedeutungsproduktion ineinandergreifen.
Das nächste Kapitel befasste sich genauer mit dem Prozess, in dem ein wissenschaftliches Modell zu einer Ikone der populären Kultur werden konnte und fragte nach den Bedeutungsverschiebungen, die dabei stattfinden. Zunächst wurde eine Untersuchung von Dorothy Nelkin und M. Susan Lindee vorgestellt. Sie heben heraus, dass die DNA eine kulturelle Bedeutung angenommen hat, die weit über ihre Bedeutung im biowissenschaftlichen Kontext hinausgeht. Hierbei wurde deutlich, dass diese der DNA zugeschriebene soziale Bedeutung arbeitsteilig zwischen biowissenschaftlicher und populärer Kultur generiert wird. Im Anschluss daran wurde eine Untersuchung Uwe Pörksens vorgestellt, der sich auf die visuelle Darstellung des Erbgutes konzentriert: Er fragt, wie die der wissenschaftlichen Sphäre entsprungene Figur der Doppelhelix zu dem von Nelkin/Lindee geschilderten „kulturellen Icon“ werden konnte. Ähnlich wie sie vertritt er die These, die DNA-Doppelhelix habe einen „Funktionswechsel vom Wissenschaftswerkzeug zum Sozialwerkzeug“ durchgemacht, aus einer wissenschaftlichen sei eine soziale Bedeutung geworden. Er überträgt Ludwik Flecks Stufenmodell von der Verwandlung einer Hypothese zur Tatsache auf die Doppelhelix und versucht, bestimmte Veranschaulichungsstufen auszumachen. Sein Fazit ist, dass Ludwik Flecks Dreistufen-Modell aus Zeitschriften- Handbuch- und Populärwissenschaft durch die „hypothetische Skizze am Anfang und das universelle Visiotyp oder Idol am Schluß“ ergänzt werden müsse. Seine These lautet: „Je sicherer die öffentliche Tatsache, umso entfernter der ursprüngliche wissenschaftliche Gehalt“.
Im folgenden wurden Pörksens Aussagen zur Ästhetik und Bedeutung der Helix aufeinander bezogen und so die immanenten Widersprüche seiner Theorie herausgestellt: Wenn die visuelle Gestalt der Doppelhelix von Anfang an eine sichere öffentliche Tatsache war, wird es schwierig, einen anfänglichen „wissenschaftlichen Gehalt“ zu definieren und ihn von einem differierenden öffentlichen zu trennen. An der visuellen Gestalt der Doppelhelix, diesem Zwitter aus Hypothese und definitivem Modell wurde deutlich, dass die allgemeine Gegenüberstellung von wissenschaftlicher und öffentlicher Bedeutung nicht aufrechterhalten werden kann. Wenn das Visiotyp mit seinen ästhetischen, irreführenden Eigenschaften schon am Beginn des Wissenschaftsprozesses zum Einsatz kommt, ist dies von großer Tragweite, da Flecks Modell damit komplett durchbrochen wird. Unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, war die Doppelhelix nie bloße Hypothese, sondern Tatsache von Anfang an. Deshalb wurde im folgenden der Beobachtung nachgegangen, dass diese über die biologische Funktion hinausgehenden ästhetischen Bedeutungen schon in der Sphäre der Wissenschaft eine Rolle spielten, und gezeigt, wie biologische und ästhetische Bedeutung in der Doppelhelix von Anfang an ineinander verschlungen sind.
Zusammengefasst stellte sich zum einen heraus, dass nicht-biologische/soziale und biologische Bedeutungszuweisung zwar getrennt werden müssen, die der DNA zugeschriebene nicht-biologische/soziale Bedeutung aber nicht allein medial erzeugt, sondern auch von Wissenschaftlern postuliert wird. Demnach kann die soziale Macht, die den Genen zugeschrieben wird, nicht denunziatorisch als Erfindung der Medien verharmlost werden, wie es gerne von Seiten der Biowissenschaften versucht wird. Zum zweiten stellte sich heraus, dass nicht-biologische/ästhetische Bedeutungen entscheidend bei der Konstruktion des Doppelhelix-Modelles waren. Also wird es unmöglich, reinen wissenschaftlichen Gehalt zu definieren, der erst nachträglich in der Öffentlichkeit getrübt oder verzerrt wird. Schon im Prozess wissenschaftlicher Bedeutungsproduktion spielen gesellschaftliche Moden und ästhetische Konventionen eine große Rolle. Die ästhetischen Eigenschaften der Doppelhelix wurden ihr nicht erst in der öffentlichen Sphäre übergestülpt, sie waren schon im biowissenschaftlichen Kontext entscheidend in die Entstehung des Modells eingeschrieben. Dies wurde im letzten Abschnitt am Beispiel des Entstehungsprozesses der Doppelhelix belegt. Die Ästhetik der Helix war für ihre Erfinder ein entscheidender Orientierungspunkt bei der Bildproduktion und dem Modellbau. Zum Schluss konnte gezeigt werden, dass die Ebene der visuellen Darstellung vielversprechende Ansatzpunkte für eine radikale Wissenschaftskritik bietet, die schon im Vorfeld, nämlich an der Genese des wissenschaftlichen Objekts ansetzt. Vielversprechend ist an diesem Ansatz die Chance, über die Ästhetik einen Weg zu finden, die molekulare Biologie zu kritisieren. „Denken Sie an das Urmodell der DNS-Doppelhelix, das durch eine offenbar durch Mobiles von Calder geschulte Künstlerin geschaffen wurde. Wenn man die ästhetische Oberfläche derartiger Konstrukte ernst nimmt, ist es möglich, schließlich bis zu einer Kritik der Bildmetaphern zu kommen, die uns umkapseln.“[77] Diese Arbeit sollte einen kleinen Beitrag zu diesem Vorhaben liefern.
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Treusch-Dieter, Gerburg, Die Ästhetik der Wahrheit, Biotechnologie im Status der Kunst, in: http://www.txt.de/b_books/texte/aesthetikderwahrheit.html (Stand: 11. August 2002)
Treusch-Dieter, Gerburg, Das Ende einer Himmelfahrt, in: Lösch, Andreas, Schrage, Dominik, Spreen, Dierk, Stauff, Markus (Hg.), Technologien als Diskurse, Konstruktionen von Wissen, Medien und Körpern, Heidelberg 2001, S. 239-253.
von Braun, Christina, Das Gen als Corpus Christi Mystikum, in: metis, Zeitschrift für historische Frauen- und Geschlechterforschung, 9. Jg. (2000), Heft 18, S. 27 – 45.
Watson, James, Die Doppelhelix, Hamburg 1997 (eng. Original 1968).
Watson, James D., Crick, Francis H. C., A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid, in: Nature vom 25. April 1953, Vol. 171, S. 737f.
[1]Diese und ähnliche Formulierungen lassen sich in unzähligen Zeitschriften- und Tageszeitungs-Artikeln der letzten Jahre finden, in denen über aktuelle Entwicklungen der Genforschung berichtet wurde; sie werden ebenso in zahlreichen Schul- und Lehrbüchern verwendet.
[2]Watson, James D., Crick, Francis H. C., A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid, in: Nature vom 25. April 1953, Vol. 171, S. 737f.
[3]Anzeige von Volkswagen in DER SPIEGEL Nr. 30/2002, S. 28-31 und im Stern vom 1. August 2002.
[4]Ulrike Bergermann weist darauf hin, dass die Doppelhelix in den meisten Darstellungen isoliert gezeigt wird. Dies entspreche dem Zentralen Dogma Francis Cricks, der 1953 gemeinsam mit James Watson die Struktur der Doppelhelix entwarf: „DNA macht RNA, RNA macht Protein, und die Proteine machen uns.“ Nach diesem Konzept ist die DNS die Zentralinstanz der Vererbung, der Zellumgebung wird keine besondere Rolle zugesprochen. „Dieses vielzitierte Bild der Doppelhelix entspricht einem sehr unwahrscheinlichen Zustand im Zellkern, und mittlerweile hat man sich vom Gen als konstanter Größe verabschiedet.“ (vgl. Bergermann, Ulrike, Das Graue Rauschen der Schafe, Grafiken für die Übertragung von Nachrichten und Genen, in: Angerer, Marie-Luise, Peters, Kathrin, Sofoulis, Zoë (Hg.), Future bodies, Zur Visualisierung von Körpern in Science und Fiction, Wien/New York 2002, S. 111). Dies geschah unter anderem durch das Humangenomprojekt. Inzwischen sprechen BiowissenschaftlerInnen vorsichtiger von „Netzwerken“ und „Interaktionen“ zwischen Zellumgebung und DNA. Die Anzeige visualisiert also den Stand der Molekularbiologie von vor fünfzig Jahren, da diese Sichtweise visuell plakativ in Szene gesetzt werden kann. Andererseits wird diese überholte Bildsprache mit der biowissenschaftlich aktuellen Aussage von der Individualität, die sich in den Genen finde, rekombiniert.
[5]Das Bild zeigt eine Ansicht der 1887 errichteteten und 1960 umgebauten Norderelbbrücken in Hamburg (für weitere Fotos vgl. http://www.bildarchiv-hamburg.de/hamburg/hafenelbe/bruecken/index2.htm und http://www.brueckenweb.de/Datenbank/Suche/brueckenblatt1.php3?brueckennummer=76 (Stand: 20. April 2003)).
[6]Treusch-Dieter, Gerburg, Das Ende einer Himmelfahrt, in: Lösch, Andreas, Schrage, Dominik, Spreen, Dierk, Stauff, Markus (Hg.), Technologien als Diskurse, Konstruktionen von Wissen, Medien und Körpern, Heidelberg 2001, S. 250.
[7]Gerburg Treusch-Dieter schreibt, das Auto sei nicht mehr mit dem Selbst identisch, „sondern das Selbst ist jetzt umgekehrt mit dem Auto identisch. Seine Autonomie hat sich im Zuge der neuen Richtung in sich verkehrt.“ Das Selbst wird nun vom genetischen Code gesteuert (Treusch-Dieter 2001, S. 250).
[8]Böhm, Uwe, Buschmann, Gerd, Religion in der Werbung und Werbung als Religion, in: M E D I E N • I M P U L S E, September 2001, S. 61f., auch in: http://www.mediamanual.at/mediamanual/themen/pdf/werbung/37_Boehm_Buschmann.pdf (Stand: 20. Januar 2003).
[9]vgl. Anders, Günther, Die Antiquiertheit des Menschen, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956, S. 21ff.
[10]Während sich der menschliche Körper abhängig von der menschlichen DNS entwickelt – aber nicht für irgendwen, der sich reinsetzen will – passt sich hier umgekehrt der automobile Körper aufgrund seiner schlauen DNS dem menschlichen Körper – also eines anderen – an.
[11]vgl. Guthrie, Stewart Elliott, Faces in the Clouds, A New Theory of Religion, New York 1993.
Der Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti sagte nach einem Besuch des Genfer Autosalons 1957: „Das Auto ist gewiss merkwürdig: ein vollkommen mechanischer Organismus, der Augen hat, einen Mund, ein Herz und Eingeweide; er isst, er trinkt und arbeitet so lange, bis er zusammenbricht – was für eine absonderliche Parodie auf ein lebendes Wesen.“ (anonymus, Ich – Jaguar im Großstadtdschungel, in: http://www.andreas-warschau.de/presseschau/presseschau2/jaguar.html (Stand: 20. Januar 2003).
Auch Manfred Gotta von der gleichnamigen Agentur für neue Produktnamen in Baden-Baden hält das Auto für das Wesen, das dem Menschen am ähnlichsten ist. „Es hat ein Gesicht, eine Figur, einen Po und eine Ausstrahlung. Das Elternhaus des Autos, der Hersteller, ist schon da. Wir versuchen, daraus ein Individuum zu machen.“, (Schärli, Jacqueline, … dass ich Rumpelstilzchen heiss‘, in: http://www-x.nzz.ch/folio/archiv/1998/05/articles/schaerli.html (Stand: 20. Januar 2003).
[12]vgl. Kapp, Ernst: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877.
Mit dieser These hat Ernst Kapp Freuds „Prothesengott“ und McLuhans Deutung der Medien als „Extensions of Man“ vorweggenommen!
[13]Der Begriff Molekular-Bio-Logie trägt dieses Paradoxon bereits in sich: Das Molekulare verweist auf die Physik, die sich als Atomphysik dem Anorganischen widmet, während bios das Leben meint, also etwas dem Organischen zugehöriges. -logie verweist auf den Logos, der beides zu fassen sucht.
[14]Meyer-Drawe, Käte, Das Auto – ein gepanzertes Selbst, in: Winzen, Matthias, Bilstein, Johannes (Hg.), Ich bin mein Auto, Die maschinalen Ebenbilder des Menschen, Köln 2001, S. 106.
In einem Artikel der Tageszeitung Die Welt beschreibt ein Autor das Design neuer Automodelle analog zur Tätigkeit im Genlabor: „Klassische Fahrzeugformen wie Limousine, Kombi, Geländewagen oder Minivan kreuzen sich untereinander – hin zu ganz neuen Karosseriekonzepten: den Crossover-Modellen. Autodesigner rühren zu diesem Zweck kräftig automobile Gene zusammen (…). Auch beim hoch bauenden Luxusliner Vel Satis zwingt Renault den Kunden zur Aufgabe traditioneller Denkstrukturen. Die Franzosen kreuzten hier die Gene eines Minivans mit denen einer Oberklasse-Limousine.“ (Hannemann, Peter, Neues Design für den Zeitgeist, in: Die Welt vom 24. August 2002, auch in: http://www.welt.de/daten/2002/08/24/0824ab352264.htx (Stand: 20. Januar 2003)).
[15]Meyer-Drawe 2001, S. 112.
[16]Silver, Lee, Das geklonte Paradies, Künstliche Zeugung und Lebensdesign im neuen Jahrtausend, München 1998, S. 14.
[17]Sloterdijk denkt den Innenraum des Autos analog zum intimen Schutzraum des Mutterleibes. (Sloterdijk, Peter, „Wir fahren immer auf dem maternity drive…“, Gespräch, in: von Vegesack, Alexander, Kries, Mateo (Hg.) Automobility – Was uns bewegt, Weil am Rhein 1999, S. 104). Er formuliert die Frage nach Innen und Außen als Frage nach dem Unterschied zwischen Geborensein und Nicht-Geborensein“ (ebd., S. 108). Es stelle sich immer wieder die Frage: „Wie bringen wir es fertig, im Außen immer wieder so gut wie drinnen zu sein?“ Für ihn sind Fahrzeuge unter anderem „Mittel, um eine Schoßsituation wiederherzustellen, und um in eine Innenwelt zurückzukehren“ (ebd., S. 109). Er schreibt, „Automobile sind außen männlich und innen weiblich, wie es sich für amphibische oder hermaphroditische Konstrukte gehört“. Diese Bisexualität leitet Sloterdijk daraus ab, dass das Auto gleichzeitig betretbar ist und sich vorwärts bewegt (ebd. S. 113).
[18]Nelkin, Dorothy, Lindee, M. Susan, The DNA Mystique, The Gene as a cultural Icon, New York 1995, S. 2 (Übers. d. Autors).
Die Autorinnen verwenden irritierenderweise die Begriffe Doppelhelix, DNA, Gen und Genom synonym, obwohl sie im biologischen Kontext klar zu unterscheidende Artefakte bezeichnen: Die Trägerin der Erbsubstanz einer Zelle beziehungsweise eines Individuums wird Desoxyribonukleinsäure (DNS oder DNA), die Gesamtheit dieser Erbsubstanz Genom genannt. Unter Genen wiederum stellen sich Biowissenschaftler bestimmte Abschnitte des Genoms vor, denen sie zuschreiben, für ein bestimmtes Merkmal verantwortlich zu sein. Geht es allgemein um die soziale Macht, die dem Erbgut zugeschrieben wird, ist es vielleicht zulässig, dies wechselnd auf die DNA, die Gene oder das Genom zu beziehen. Der Begriff der Doppelhelix fällt aus dieser Kette jedoch heraus. Da mit ihm die Struktur der DNA umschrieben wird, muss bei einer Analyse der visuellen Gestalt des Erbgutes klar zwischen der DNA, dem Genom bzw. Genen auf der einen Seite und der Doppelhelix-Figur auf der anderen Seite unterschieden werden.
[19]Nelkin, Dorothy, Die Genetik in den Medien der USA, in: Mittelweg 36, 1/1994, S. 19.
[20] Christina von Braun kritisiert diese Analogie und setzt die DNA demgegenüber in Beziehung zur Hostie (vgl. von Braun, Christina, Das Gen als Corpus Christi Mystikum, in: metis, Zeitschrift für historische Frauen- und Geschlechterforschung, 9. Jg. (2000), Heft 18, S. 33f.).
[21]Nelkin, Lindee 1995, S. 4 (Übers. d. Autors).
[22]Da jeder Mensch 99,99 Prozent seiner Erbinformationen mit allen anderen teilt, wie Craig Venter im Januar 2001 ausführte, interessiert sich die Medizin heute besonders für die 0,01 Prozent genetischen Unterschiede im Erbgut der Menschen, die als SNPs (Single Nucleotide polymorphisms) bezeichnet werden (vgl. Frankfurter Rundschau vom 13. Februar 2001).
[23]Nelkin, 1994, S. 21f.
[24]Nelkin, Lindee 1995, S. 8.
[25]Nelkin, Lindee 1995, S. 2.
[26]Pörksen, Uwe, Blickprägung und Tatsache. Veranschaulichungsstufen der Naturwissenschaften – von der hypothetischen Skizze bis zum öffentlichen Idol, in: Danneberg, Lutz, Niederhauser, Jürg (Hg.), Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast, Aspekte der Methodik; Theorie und Empirie, Forum für Fachsprachen-Forschung, Bd. 39, Tübingen 1998, S. 323.
[27]vgl. Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt am Main 1980.
[28]Pörksen 1998, S. 324-326.
[29]Zunächst zeichnet Pörksen einleitend nach, wie Charles Darwin während der Arbeit an der Evolutionstheorie die Metapher vom „Baum des Lebens“ entwickelte – als nicht darstellbare, sprachlich wenig festgelegte Hypothese. Sie sei dann von Ernst Haeckel für einen „Stammbaum der Sprachen“ und einen analogen „Stammbaum des Menschen“ aufgegriffen worden. Hierbei sei Darwins Metapher zu einer objektiven Tatsache geronnen, visualisiert in einer exakten, vollkommen symmetrischen Graphik, und sprachlich von festen, im Tenor der Gewißheit gehaltenen Behauptungen umgeben. Von Ernst Haeckel zur „Evolutionseiche“ umgestaltet, sei Darwins Hypothese dann nicht nur zur unumstößlichen öffentlichen Tatsache geworden, sondern zudem mit weltanschaulichem Gehalt aufgeladen worden. Schließlich widerspreche das Bild durch die Suggestion einer hierarchischen Aufwärtsentwicklung des Menschen Darwins Theorie.
[30]Pörksen 1998, S. 326.
[31]ebd., S. 332.
[32]ebd., S. 336.
[33]ebd.
[34]ebd., S. 338.
[35]ebd.
[36]ebd., S. 338 f.
[37]ebd., S. 339.
[38]ebd., S. 344 f.
[39]ebd., S. 344.
[40]ebd., S. 339 und 345.
[41]Pörksen, Uwe, Weltmarkt der Bilder, Eine Philosophie der Visiotype, Stuttgart 1997, S. 172.
[42]Pörksen,1998, S. 344.
[43]ebd., S. 340.
Pörksen schreibt, dieser Vorgang sei hauptsächlich aufmerksamkeitsökonomisch zu erklären: Wer die Verkündigung eines Paradigmenwechsel an ein visuelles Zeichen hefte, finde Beachtung und mobilisiere ökonomische Ressourcen.
[44]ebd., S. 345.
[45]Kollek, Regine, Metaphern, Strukturbilder, Mythen – Zur symbolischen Bedeutung des menschlichen Genoms in: Trallori, Lisbeth N., Die Eroberung des Lebens, Technik und Gesellschaft an der Wende zum 21. Jahrhundert, Wien 1996, S. 138f.
[46]Pörksen, Uwe, Weltmarkt der Bilder, Eine Philosophie der Visiotype, Stuttgart 1997, S. 224.
[47]Doberstein, Jutta, Schwarze, Herbert und Truniger, Fred, Nützliche Bilder, http://www.uni-duisburg.de/HRZ/IKF/fest_d_e/kat-text_nb_k.html, Juni 99 (Stand: 10. August 2002).
[48]Watson, James, Die Doppelhelix, Hamburg 1997, S. 78.
[49]ebd., S. 64f.
[50]vgl. Kay, Lily E., „Der genetische Code ist kein Code“, Interview von Henning Schmidgen, in: Gen-Ethischer Informationsdienst SPEZIAL Nr. 1, Dezember 2000.
[51]Watson 1997, S. 78.
[52]Christiane Schmerl hat nachgezeichnet, welche Geschlechterbilder Watson in seinem Buch „Die Doppelhelix“ reproduziert, wie es dazu kam, dass die zentrale Rolle Rosalind Franklins bei dem Entwurf der DNA-Struktur unterschlagen werden konnte und der Nobelpreis allein den männlichen Wissenschaftlern zuerkannt wurde (vgl. Schmerl, Christiane, Der Herr der Bilder, in: Großmaß, Ruth, Schmerl, Christiane (Hg.), Leitbilder, Vexierbilder und Bildstörungen, Über die Orientierungsleistung von Bildern in der feministischen Geschlechterdebatte, Frankfurt am Main 1996, S. 57-101).
[53]Kollek 1996, S. 138.
Bei der Röntgenkristallographie „werden Moleküle mit Hilfe von Röntgenstrahlen durchleuchtet. Wenn die Röntgenstrahlen gezielt auf ein Molekül gerichtet werden, lenkt das Atomgitter des Moleküls die Strahlen ab. Auf einer dahinter liegenden Fotoplatte erzeugen die abgelenkten Strahlen durch Schwarzfärbung ein Muster, das charakteristisch für die Substanz ist, die geröntgt wird. Dabei kommt es darauf an, das Molekül von unterschiedlichen Richtungen aus zu durchleuchten. Regelmäßig gebaute Moleküle werfen immer ein typisches Muster auf die Röntgenplatte, wobei der Grad und die Struktur der Ablenkung entscheidende Rückschlüsse zulassen. Mit Hilfe der Muster läßt sich, wenn man die jeweilige Position des Moleküls mit einbezieht, die räumliche Struktur des Moleküls bestimmen“ (in: Bartens, Werner, Dem Leben auf der Spur, Biografie einer Endeckung, 50 Jahre Entschlüsselung der DNS, Stuttgart/München 2003, S. 82f.).
[54]Watson 1997, S. 52.
[55]ebd., S. 59.
[56]ebd., S. 69.
[57]Fölsing, Albrecht, Einführung in: Watson, James, Die Doppelhelix, Hamburg 1997, S. 18.
[58]Root-Bernstein, Robert, Do We Have the Strukture of DNA Right? Aesthetic Assumptions, Visual Conventions, and Unsolved Problems, in: Art Journal, Contemporary Art and the Genetic Code, 55, Nr. 1, Frühjahr 1996, S. 48 (Alle Übersetzungen d. Aut.).
[59]Root-Bernstein 1996, S. 47.
[60]Ähnlich wie Root-Bernstein stellt Ken Biegeleisen die Zweifel an der Struktur heraus, ohne mit Sicherheit zu behaupten, sie sei nicht helixförmig aufgebaut: „The truth, at this time, is not that… {„DNA is not a helix“} …and you didn’t hear me say that. The truth is that… {„The helicity of DNA is unproven, and that there are good reasons to doubt it“.“ (vgl. Biegeleisen, Ken, Is Native DNA A Helix?, in: http://www.notahelix.com/ (Stand: 12. August 2001)).
[61]Root-Bernstein 1996, S. 47.
[62]ebd., S. 48.
[63]ebd.
[64]ebd., S. 49.
[65]ebd., S. 53.
[66]ebd., S. 54.
[67]Watson 1997, S. 25.
[68]ebd., S. 54.
[69]ebd., S. 95.
[70]ebd., S. 113.
[71]ebd., S. 183.
[72]ebd., S. 188.
[73]Crick, Francis, The Double Helix: A Personal View, in: Nature vom 26. April 1974, S. 771.
[74]Porträt: Ernst Peter Fischer, in:
http://www.arte-tv.com/hebdo/archimed/19991228/dtext/sujet4.html, (Stand: 10. Januar 2003), vgl. auch: Fischer, Ernst Peter, Das Schöne und das Biest. Ästhetische Momente in der Wissenschaft, München 1997, S. 41f.
[75]Hierfür gibt es auch viele andere Beispiele aus den Naturwissenschaften: So sah der Chemiker Friedrich August Kekulé 1862 in einem Tagtraum ein schlangenartiges Gebilde vor seinem inneren Auge tanzen und sich zu einem Kreis winden. Dies inspirierte ihn, dem Benzol, über dessen Struktur er gerade nachsann, eine Ringstruktur zu geben (vgl. Pörksen 1998, S. 342f.).
[76]Gugerli, David, Die Automatisierung des ärztlichen Blicks, (Post)moderne Visualisierungstechniken am menschlichen Körper, in: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Geschichte und Technikgeschichte, Preprints zur Kulturgeschichte der Technik, 1998, Nr. 4, auch in: http://www.tg.ethz.ch/dokumente/pdf_files/Automatisierung.pdf (Stand: 8. April 2003).
[77]Assheuer, Thomas, Kipphoff, Petra, Ist Wissen von Natur aus schön? Versuchte Nähe: Über das heikle Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Ein ZEIT-Gespräch mit Horst Bredekamp und Jochen Brüning, in: http://www.zeit.de/2001/10/Kultur/200110_bredekamp.html (Stand: 20. Februar 2003).