Ein virtuelles Museum islamischer Kunst. Leistet das Online-Museum „Discover Islamic Art“ einen Beitrag zur kulturellen Dekolonisierung?

(Anmerkung: Dieser Artikel ist am 26. September 2013 auf Telepolis erschienen. Bitte lesen Sie den Artikel auch dort mit funktionierenden links und Fotos).

Wenn in westlichen Medien vom Islam die Rede ist, geht es vor allem um Islamismus, Terrorismus, Bedrohungen. Obwohl die europäischen Künste stark von islamischer Kunst und Architektur beeinflusst wurden, integriert Europa die islamische Geschichte nicht in seine eigene große Erzählung. Dass es eine uralte Tradition kulturellen Austauschs zwischen Orient und Okzident gibt, gerät in Zeiten des „Krieges gegen den Terror“ fast in Vergessenheit.

Seit Dezember 2005 gibt das weltweit größte virtuelle Museum Discover Islamic Art[1] einen Einblick in die kulturellen Verflechtungen zwischen Europa und der islamischen Welt. „Damit wollen wir den Schreckensbildern aus der islamischen Welt etwas entgegensetzen“, erklärt Günther Schauerte, stellvertretender Generaldirektor der an dem Projekt beteiligten Staatlichen Museen zu Berlin.

Das Virtuelle Museum des Islams zeigt 13 Jahrhunderte islamischer Kunst und Architektur, angefangen von der Zeit der syrischen Kalifen (661-750) bis zum Ende des Osmanischen Reiches (1299-1922). Dafür haben sich 40 Museen aus 39 europäischen und nordafrikanischen Ländern sowie dem Nahen Osten zusammengeschlossen. Jedes beteiligte Museum wählte bestimmte Exponate aus, die in einer ständigen Ausstellung auf der Homepage gezeigt werden. Finanziert wird das Projekt überwiegend vom Euromed Heritage Fonds[2] der Europäischen Union. Nun eröffnete das Museum mit Pressekonferenzen 14 Ländern gleichzeitig seine neueste Erweiterung: 18 virtuelle Sonderausstellungen zeigen den Besuchern in acht Sprachen verschiedene Aspekte der islamischen Zivilisation und ihren Einfluss auf die kulturelle Identität der Europäer. Ergänzt wird das virtuelle Angebot durch die illustrierte Buchpublikation „Islamische Kunst am Mittelmeer“, erschienen im Ernst Wasmuth Verlag.

Das Besondere des Online-Museums besteht darin, dass alle Kunstwerke unabhängig von ihrem Standort zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Zum ersten Mal können also historische Zusammenhänge zwischen Kunstwerken sichtbar gemacht werden, die sich durch kolonialistischen Kunstraub, Aufkäufe von Sammlern oder auch Schenkungen fern ihres Herkunftsortes befinden. Denn auch ein virtuell zusammenführendes Museum kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein Politikum bleibt, warum welches Kunstwerk wo an welchem Ort zu sehen ist.Wie kam die Fassade des jordanischen Wüstenschlosses ins Berliner Museum?

Auch im Internet bleibt der Ort wichtig: Viele Schätze islamischer Kunst gelangten gegen Ende des 18./19. Jahrhunderts im Rahmen des Kolonialismus in die europäischen Museen. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Fassade des jordanischen Wüstenschlosses von Mschatta[3] aus der Mitte des 8. Jahrhunderts, auf die das Berliner Museum für Islamische Kunst besonders stolz ist. Sie kam 1903 als Schenkung des osmanischen Sultans Abdul Hamid II. an Kaiser Wilhelm II. in das damals im Bau befindliche Kaiser-Friedrich-Museum von Berlin – das heutige Bodemuseum. Nur die Fundamente[4] des 1260 Jahre alten Palastes befinden sich heute noch in Jordanien, etwa 30 km südlich der Hauptstadt Amman. Wie kam es aber zu diesem Geschenk? Weshalb kam die Mschatta-Fassade nach Deutschland? Darüber erfährt man im Museum Discover Islamic Art nur wenig.

Das deutsche Interesse an islamischer Kunst entstand Ende des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der kaiserlichen Orientpolitik: Abdul Hamid II., Sultan des Osmanischen Reiches, überwarf sich 1882 mit den Briten, nachdem diese am Nil sein Hoheitsgebiet besetzt hatten. Im Streit mit London hoffte der Sultan auf deutsche Unterstützung. Da die Deutschen im Nahen Osten keine Kolonien hatten, genossen sie großes Vertrauen im Osmanischen Reich. 1889 trat Kaiser Wilhelm II. seine erste Orientreise an. Das Kaiserreich erhoffte sich den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, das Osmanische Reich war vor allem an der militärischen Zusammenarbeit interessiert. Die Orientreise des deutschen Kaisers

In dieser Situation bat Geheimrat Bode, der spätere Gründer des islamischen Museums in Berlin, Kaiser Wilhelm II., bei Abdul Hamid um eine Überlassung der erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckten Fassade zu bitten. Paris und London demonstrierten ihre imperiale Größe bereits in großen nationalen Kunstsammlungen – nun sollte auch Berlin nachziehen. Kulturideologisches Ziel des deutschen Nationalmuseums auf der Museumsinsel war es, durch ein enges Nebeneinander von Antikenabteilung und „deutscher“ Kunst die Deutschen als die „wahren Vollstrecker antiker Vollendung“ zu zeigen[5]. Außerdem sollte ein ästhetischer Anreiz für die künstlerische Begegnung mit dem „Fremden“ geboten werden.

Das islamische Original steht in Europa, die westliche Kopie im Orient

Heute ist die Mschatta-Fassade für das Museum für islamische Kunst in Berlin „ein Symbol für den friedlichen und freundschaftlichen Austausch zwischen der antiken, der islamischen und der europäischen Kultur.“ Im Gegensatz zu anderen Exponaten kamen aber auch nie Rückgabeforderungen aus Jordanien.

Dennoch gab die Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin 2004 – vielleicht doch ein wenig als symbolischen Ausgleich? – einen Nachbau[6] der Mschatta-Fassade im Maßstab 1:15 in Auftrag, der – nach einer Zwischenstation in der Ausstellung Gesichter des Orients[7] in Bonn – als Geschenk an das Königreich Jordanien seinen endgültigen Platz im neu gegründeten Nationalmuseum in der Hauptstadt Amman fand. Dass das islamische Original in Europa steht, während im Orient nur eine westliche Kopie zu sehen ist, scheint in diesem Fall kein Problem zu sein.

Islamische Kunst im Westen: Geraubt, gekauft oder geschenkt?

Anders sieht es im Fall des berühmtesten Monuments der Berliner Museumsinsel aus, dem Berliner Pergamonaltar. So forderte[8] der türkische Kulturminister Istemihan Talay 1998 die Rückgabe des Altars an die heutige türkische Stadt Bergama, 2001 erneuerte er diese Forderung. Die Berliner Museumsverwaltung interessiert das aber nicht. Schließlich hätten sich die deutsche Regierung mit dem Osmanischen Reich 1879 darauf geeinigt, den Pergamon-Altar gegen 20.000 Goldmark zur Restaurierung nach Berlin bringen zu dürfen.

Carl Humann und Wilhelm Dörpfeld hatten seit 1878 acht Jahre lang auf dem Burghügel von Pergamon die Trümmer des Altares freigelegt, der in der Antike als eines der sieben Weltwunder galt. Mit der Ausgrabung retteten sie den Altar vor den damaligen Einwohnern Bergamas, die den Marmor als Baumaterial nutzten. Am einstigen Fundort in Pergamon ist heute ein Nachbau zu sehen.

Rückgabe geraubter Kulturgüter?

Die Debatte um okzidentale Beutekunst wurde in Deutschland zuletzt anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Eroberung Amerikas geführt. Damals rief die Entwicklungshilfe-Organisation medico international[9] eine Kampagne zur Rückgabe der geraubten Kulturgüter ins Leben, die sie „Der Brand der großen Bibliothek“ nannte. Die Kampagne stellte in den Vordergrund, dass es nicht nur um Objekte geht: Mit den entwendeten Kulturgütern sei auch das kulturelle Gedächtnis angeeignet worden.

Nur in den seltensten – und krassesten – Fällen gaben europäische Staaten bisher der Bitte beraubter Länder nach, bestimmte Exponate zurückzugeben. Jahrzehntelang stritten sich etwa Italien und Äthiopien um den „Obelisk von Axum“, der 1937 von italienischen Kolonialtruppen geraubt und nach Italien gebracht worden war. Erst Mitte der 90er Jahre entschied sich die Regierung in Rom für die Rückgabe des 24 Meter hohen Obelisks[10]. Im April 2005 brachte eine russische Antonow-Maschine den Steinkoloss zurück in sein afrikanisches Ursprungsland.

Dass auch in postkolonialen Zeiten der Handel mit Beutekunst ein einträgliches Geschäft ist, zeigt übrigens der Prozess gegen die langjährige Kuratorin des weltberühmten Getty-Museums in Los Angeles, Marion True. Sie soll seit den 60er Jahren geraubte italienische Kunstgegenstände für das Museum aufgekauft haben. Der ehemalige italienische Kulturminister Antonio Paolucci verlangt Aufklärung über insgesamt 40 Objekte im Wert von 25 Millionen Dollar, die sich im Besitz des Getty befinden.

Abschied vom Orientalismus?

Jedes Museum für islamische Kunst sieht sich mit vorgefertigten Klischees über den Orient konfrontiert: Die Initiatoren des Museums sind sich darüber im Klaren, nicht im politikfreien Raum zu agieren. „Die Gleichwertigkeit der beteiligten Museen auf dem globalen Markt für kulturelles Erbe ist eine wichtige politische Botschaft des Projektes“, betont Eva Schubert, Direktorin der der Non-profit-Organisation Museum Ohne Grenzen, die Discover Islamic Art[11] ins Leben gerufen hat. Jedes Land müsse Kunst, Kultur und Geschichte aus seiner eigenen Sicht und lokalen Perspektive darstellen.

Damit soll der Debatte um die westliche Konstruktion des Orients Rechnung getragen werden, die bereits 1978 durch den vor vier Jahren verstorbenen US-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said angestoßen wurde. In seinem Werk „Orientalism. Western Conceptions of the Orient“ beschreibt Said, wie der Westen – im Speziellen der Orientalismus – zunächst ein Bild des Orients konstruierte, um sich dann anschließend gegenüber diesem Bild abgrenzen zu können. Orient und Islam gibt es in diesem Sinne also überhaupt nicht, sie sind die Summe imaginärer Zuschreibungen und bilden ein Referenzsystem, das zum Zweck westlicher Dominanzansprüche kreiert wurde. Said betonte[12] 2003 im Hinblick auf den Irakkrieg noch einmal seine Sichtweise:

Ohne das systematisch produzierte Gefühl, diese fernen Völker im Nahen Osten seien nicht wie „wir“ und würden nicht „unsere“ Werte hochhalten – und das genau macht den Kern des Orientalismus-Dogmas aus -, hätte es keinen Krieg gegeben.

Konzipierte Said den „Orient“ noch als sehr statische, einseitige Projektion und Erfindung des „Okzidents“ zum Zwecke der Herrschaftssicherung, verweisen jüngere Forschungen auf eine Vielzahl dynamischer „Orientalismen“, die das interkulturelle Feld durchkreuzen. Das zeigt sich aktuell etwa in der Faszination für orientalistische Bildwelten, die in Ausstellungen und Bildbänden zelebriert werden. Die alte Orientkunde des 19. Jahrhunderts wurde durch Soziologie, Anthropologie oder Politikwissenschaft zwar grundlegend erneuert, exotistische, kulturalistische und auch offen rassistische Orient-Bilder sind aber noch immer sehr präsent und mächtig. Dennoch stehen heute nicht nur westliche Dominanz, sondern auch die Handlungsspielräume der „Anderen“ auf der Agenda. Es sind die sogenannten „postcolonial studies“, die sich nun auch umgekehrt mit dem Europa-Bild der Kolonialisierten befassen.

Den Blick auf die eigenen Wurzeln verfremden

In diesem verminten Feld muss sich ein Museum wie Discover Islamic Art also die Frage stellen, wie islamische Kultur nach der Orientalismuskritik überhaupt ausgestellt werden kann. Denn die Frage nach Verbindendem und Trennendem zwischen abendländischer und benachbarter islamischer Kultur ist heute von besonderer Brisanz. Entscheidend für die Vermittlung islamischer Kulturgeschichte – der sich auch das Museum Discover Islamic Art verschrieben hat – ist dabei der Abschied von einem polarisierenden oder romantischen Kulturalismus, der verschiedene Kulturen als einander gegenüberstehende geschlossene Einheiten begreift. Demgegenüber muss ein Kulturbegriff gestärkt werden, der die vielfältigen historischen Verflechtungen zwischen Islam und Okzident herausstellt. So sagt Claus-Peter Haase, Direktor des beteiligten Museums für islamische Kunst im Berliner Pergamonmuseum:

Es gilt, den Blick auf etwas zu lenken, das einem sehr häufig als fremd verkauft wird. Es gilt, den Blick auf die eigenen Wurzeln zu verfremden.

Hier erst zaghaft formuliert, weist dieser Ansatz in die richtige Richtung. Denn auch heute noch prägen binäre Zuschreibungen von Abendland und Morgenland, erster und dritter Welt, dem „Westen und dem Rest“ die Wahrnehmung der postkolonialen Weltordnung. In einer Situation, in der die Berufung auf ethnische und kulturelle Identität weltweit Separatismen und Kriege produziert, ist es also von zentraler Bedeutung, die dichotomische Unterscheidung zwischen Orient und Okzident zwischen „Eigenem“ und „Fremdem“ zu überwinden, die der Orientalismus des 19. Jahrhundert mit hervorgebracht hat. Dazu leistet das Museum einen wichtigen Beitrag.

Islamische Kunst – eine westliche Erfindung?

Zu der grundsätzlichen Frage, was denn eigentlich heute islamische Kunst ist, findet der Besucher auf der Website des Museums jedoch keine Antwort. Ist jede von einem Moslem praktizierte Kunstform „islamische Kunst“? Produzieren nicht auch jüdische oder christliche Künstler, die in arabischen Ländern leben, „islamische Kunst“? Sind die Gebäude der Architektin Zaha Hadid oder die Filme Elia Suleimans „islamische Kunst“?

Oft wird ausgeblendet, dass der Begriff der islamischen Kunst eine Erfindung der westlichen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts ist. Für Berlin lassen sich beispielsweise gut betuchte Privatsammler und Archäologen als Akteure ausmachen. „Die Kunstgeschichte hat durch das Berliner Beispiel eigentlich erst begonnen, islamische Kunst so in Perioden und Regionen einzuteilen, wie wir das heute allmählich als festes Wissen weiterreichen“, bestätigt[13] Claus-Peter Haase. Was man heute über islamische Kunst weiß, entspringt also vor allem westlichen Kanonisierungsbemühungen im Umfeld der Museen. Auch wenn das nicht moralisch verwerflich ist, fehlt dem westlichen Blick doch oft die Selbstreflexion, die Bereitschaft, kulturelle Konflikte und Brüche sichtbar machen – etwas, das dem als Andachtsort konzipierten Museum traditionell ganz und gar fremd ist.

Die Geschichte der westlichen Musealisierung islamischer Kunst aufzuarbeiten, könnte auch im Eigeninteresse der europäischen Museen liegen – denn sie ist auch eine Geschichte der Enttäuschung. Oft erfüllte sich der erwartete Publikumserfolg nicht. Anhand der Objektgeschichte eines Kunstgegenstandes könnte der Besucher etwas über die Sozial- und Kulturgeschichte des westlichen Sammelns lernen. Wenn deutlich würde, weshalb es durch welche Umstände wohin kam, wer sich wann dafür interessierte und wer weshalb nicht, könnte der Besucher das weite Feld der islamischen Kunst viel plastischer in der Gegenwart verorten. So fragt sich manch westlicher Besucher von „Discover Islamic Art“ vielleicht: Interessierte sich denn in den islamischen Ländern niemand für jene Kunstwerke, die westliche Ärchäologen aufkauften oder einfach mitnahmen? Und wie ist das Verhältnis zwischen den Sammlungen islamischer Kunst im Westen und den inzwischen gegründeten Museen in den islamischen Ländern heute?

Anhang

Links

[1] http://www.discoverislamicart.org

[2] http://www.euromedheritage.net/en/euromedheritageprojects/eh3/discover.htm

[3] http://www.discoverislamicart.org/database_item.php?id=object;ISL;de;Mus01;1;de

[4] http://www.discoverislamicart.org/database_item.php?id=monument;ISL;jo;Mon01;2;en

[5] http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/1108/magazin/0001/index.html

[6] http://baugeschichte.a.tu-berlin.de/bg/forschung/projekte/mittelalter/mschatta.htm

[7] http://www.kah-bonn.de/index.htm?ausstellungen/jordanien/index.htm

[8] http://www.welt.de/print-welt/article508815/Pergamon-Altar_soll_in_neuem_Glanz_erstrahlen.html

[9] http://www.medico-international.de/

[10] http://zeus.zeit.de/text/2003/46/A-Obelisk_Axum

[11] http://www.discoverislamicart.org/

[12] http://www.taz.de/pt/2003/09/12/a0005.nf/text.ges,1

[13] http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-299/_nr-141/i.html

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